Als
die junge Keren Ann Zeidel im Jahr 2000 an der Seite des aufstrebenden
Neochanson-Stars Benjamin Biolay auftauchte, war noch nicht recht
deutlich, wer von beiden das größere Talent in die künstlerische
Beziehung mit eingebracht hatte. Biolay erschien zunächst als
der dominante Partner, umtriebig und rastlos arbeitete er an mehreren
Projekten parallel, und als die beiden nach ihren gemeinsam produzierten
Solo-Alben ("Rose Kennedy", "La disparition")
mitteilten, fortan getrennte Wege zu gehen, durfte man gespannt erwarten,
wie sich die Karriere der beiden Jungstars entwickeln würde.
Keren
Ann ließ es zunächst langsam angehen. Ihr Album "Not
going anywhere" war zunächst eine Sammlung von Songs aus
der Zeit mit Biolay, die sie nun auf Englisch eingesungen hatte. Erst
im Nachhinein war zu erkennen, dass "Not going anywhere"
recht zielstrebig den Beginn einer internationalen Karriere einläutete,
mit der Keren Ann sich von der französischen Musik im allgemeinen
und dem Neo-Chanson im besonderen verabschiedete. Zunächst trieb
es sie nach Island, wo sie mit Bang Gang-Bandleader Bardi Johanson
das verschrobene Konzeptalbum "Lady & Bird" aufnahm,
und dann nach New York, wo sie inzwischen eine zweite Heimat fand.
Mit
"Nolita" (benannt nach einem New Yorker Viertel north
of Little Italy') fand Keren Ann erstmals Anschluss an die angloamerikanische
Songwriter- und Indiefolk-Szene, und dennoch blieb sie unverkennbar
sie selbst - weniger verschroben als ihre skandinavischen Kolleginnen,
nicht so süßlich wie französische Weggefährtinnen,
aber auch weniger gitarrenrock-, folk- oder country-beeinflusst als
amerikanische Sängerinnen.
Auch
auf ihrem neuen Album, das ihren eigenen Namen als Titel trägt,
bleibt Keren Ann dieser Linie treu, mehr noch: sie baut sie aus und
entwickelt sie zu einem individuellen Profil, bei dem das Album tatsächlich
keinen Namen mehr braucht: nur wo Keren Ann drauf steht, ist auch
Keren Ann drin. Mit hintergründiger Melancholie und einer kühl
austarierten Mischung aus digitaler Elektronik und akustischen Elementen
emanzipiert sie sich - endgültig - von ehemaligen Partnern und
langjährigen Vorbildern und zeigt, dass die Trennung eine richtige
Entscheidung war.
Produziert
hat sie das Album praktisch im Alleingang, auch die Arrangements für
Chor und Streicher schrieb sie selbst. Bardi Johansson zeichnet noch
bei einem Song als Co-Autor verantwortlich ("Caspia"), während
Keyboarder Albin de la Simone, daheim als Solo-Interpret kein Unbekannter,
nur noch als letzter Verbliebener ihrer rückblickend als "Phase"
erscheinenden Frankreich-Zeit erscheint.
Nicht
nur durch die Studioorte (aufgenommen wurde in Paris, Reykjavik, New
York, Tel Aviv, Avignon und Los Angeles) ist "Keren Ann"
das bislang internationalste Album der Musikerin. Durchgängig
in englischer Sprache gesungen verweigert sich die Musik jeder geografischen
Festlegung - an Atmosphäre dagegen hat es umso mehr.
Keren
Ann entwickelt ihren Sound mittlerweile mit cooler Lässigkeit;
wie detailreich und komplex angelegt ihre Songstrukturen sind, merkt
man erst, wenn man eine rationale Analyse der Songs anstellt.
Doch
wer will das schon. Besser man schaltet den Kopf einfach aus, bevor
man in diesem außergewöhnlichen Album versinkt - oder,
wie sie es sagt: "Lay your head down // in my arms ..."
©
Michael Frost, 01. Juli 2007