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Die Meinung gegeigt


Die Grenzen zwischen Klassik und Pop werden immer fließender. Oft allerdings geht diese Entwicklung zu Lasten beider Genres, weil ihre Eigenheiten eingeebnet werden. "Kuschelklassik" heißt das indiskutable Ergebnis. In diese Kategorie gehörte Nigel Kennedy nie. Der Violinist, der in Klassikkreisen schon wegen seiner auffälligen Frisur für Furore sorgte, bevor er überhaupt den Geigenbogen angesetzt hatte, verdankt seinen Erfolg nicht der Anpassung an das Weichspül-Bedürfnis des Massenpublikums, sondern seinem individuellen Zugang und der authentischen Interpretation der Werke, mit denen er sich auseinandersetzt.

Da er sich stets auch als Anhänger moderner Musik zu erkennen gab, waren für Kennedy Kooperationen mit Rock- und Jazzmusikern immer eine Selbstverständlichkeit und Ansporn zur Erweiterung des eigenen Horizonts.

Eine Herausforderung ist auch sein aktuelles Projekt mit dem zunächst rätselhaften Titel "East meets East".

Für die Aufnahme tat Kennedy sich mit dem polnischen Ensemble Kroke zusammen. Tomasz Kukurba (Violine, Viola), Jerzy Bawol (Akkordeon) und Tomasz Lato (Kontrabass) sind seit längerem auch in Deutschland ein Begriff. Kroke steht für polnische und osteuropäische Folklore, gleichermaßen gefühlvolle, sehr melancholische Balladen, aber auch für entfesselte Tanzrhythmen voller Inbrunst und Leidenschaft. Von beidem hat auch die gemeinsame Produktion von Kroke und Kennedy einiges.

"East meets East" bedeutet dabei, dass Kennedy und Kroke ganz unterschiedliche Facetten des "Ostens" zusammenbringen. Bereits der Auftakt ist in dieser Hinsicht bedeutungsvoll, wenn nämlich Gastsängerin Natacha Atlas dem Lied "Ajde Jano" eine balkanesque Note verleiht und dem Südosten Europas mit betörender Stimme den Weg nach Westen bereitet.

Kennedy und Kroke lassen die Grenzen zwischen Klassik und Folklore dahinschmelzen. Spätestens angesichts der im Titel "Eden" zur Schau gestellten Virtuosität wird auch der größte Bedenkenträger seine Vorbehalte über Bord werfen: Die Spielfreude Kennedys und seiner Begleiter ist absolut entwaffnend.

Die Kompositionen stammen zum Teil von Kennedy und den Kroke-Musikern selbst, bei anderen Stücken handelt es sich um Bearbeitungen traditioneller Vorlagen, ein Titel stammt von dem berühmten jugoslawischen Komponisten Goran Bregovic ("Underground") - die von ihm immer wieder vertonte Musik der Roma vom Balkan ist integraler Bestandteil der Musikkulturen Osteuropas.

Und so fließen nicht nur die musikalischen, sondern auch die geografischen und kulturellen Grenzen. "East meets East" bedeutet in der Konsequenz dieses Albums die Aufhebung sämtlicher Trennungslinien - Westeuropa versus Osteuropa: Überholt ! - Europa versus Asien: Ein Mythos ! - Hochkultur versus Volkskultur: Von wegen !

Mit der Elektro-Violine geigt Kennedy den Skeptikern die Meinung, dass es nur so eine Freude ist.

© Michael Frost, 11. Juni 2003

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