Zugegeben: Beim Einlegen eines Albums mit dem Titel "Songs from Kosovo" erwartet man - dem oberflächlichen Halbwissen über die ehemals zu Serbien gehörende Republik entsprechend - scheppernde Blechbläser, donnernde Percussions, von Schnaps und Wehmut getränkten Gesang und vor allem: Lautstärke bis zum Anschlag.
Irina Karamarkovic bietet das genaue Gegenteil und schnell begreift man, dass die Erwartung dem eigenen Vorurteil auf den Leim gegangen ist: Die "Songs from Kosovo" sind traditionsreiche, lyrische Balladen, die von der Sängerin und ihrer dreiköpfigen Begleitband in lupenreinen Jazz verwandelt werden.
Irina Karamarkovic konnte bei der Auswahl der Stücke für ihr Album auf einen Familienfundus zurückgreifen. Ihr Großvater war Komponist, ihre Mutter Geigerin. Beide hatten traditionelle Lieder des Kosovo gesammelt und verwahrt; Lieder, die nun von Irina wieder entdeckt und zu neuem Leben erweckt wurden.
"Wir können leicht verlieren, was wir nicht verwenden", sagt Irina Karamarkovic über ihre Motivation für die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe ihrer Heimat. Dabei wird ihr bewusst gewesen sein, dass ihr Vorhaben zwangsläufig im komplizierten Kontext der politischen Gegenwart des Kosovo gesehen werden muss: Das ehemals zu Serbien gehörende, aber mehrheitlich von Albaner bewohnte Gebiet, ringt um seine Anerkennung als unabhängiger Staat, als Nation - doch die hängt letztlich ab von dem Nachweis einer eigenständigen, sowohl von Serbien als auch von Albanien abgegrenzten Identität.
In dieser Gemengelage sitzt die Minderheit der Serben im Kosovo zwischen allen Stühlen. Irina Karamarkovic bezieht sich in ihrer Musik vor allem auf ihre Tradition (die meisten Stücke sind Lieder der serbischen Volksgruppe im Kosovo), will das jedoch keinesfalls als politische Stellungnahme verstanden wissen.
So entzieht sie sich der politischen Vereinnahmung auf die einzig mögliche Weise: Sie interpretiert die alten Lieder in betont neuem Gewand - als Jazz. Gemeinsam mit ihr präsentiert sich die "Band" als klassisches Jazz-Quartett: Stefan Heckel (Piano), Victor Palic (Schlagzeug) und Wolfram Derschmidt (Kontrabass) bilden einen vorzüglichen Rahmen für Karamarkovics mit warmer Stimme vorgetragenen Interpretationen. Einfühlsam und elegant, dabei hoch flexibel und auf Augenhöhe mit der internationalen Jazzszene elektrisiert die Spielfreude der Musiker auch die Zuhörer - und eröffnet einen weiten Blick in eine bis dahin nicht wahrgenommene Kultur. Einen besseren Effekt kann Musik kaum haben.
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Michael Frost, 05.09.2009