Hier will es einer wirklich wissen: Ein Bassmann spielt zum Solo auf. Seit mehr als 20 Jahren als Sideman in der deutschen Jazz-Szene hochgeachtet, für seine Volkslied-Aufnahmen („Folk-Songs“ 1997, „Fieldwork“ 1998) gerühmt, als „sensibler Schöpfer multikultureller Zusammenhänge“ ins Jazz-Lexikon (Reclam) eingezogen, legt der gebürtige Freiburger Dieter Ilg ein Solo-Debüt vor, das er stolz und schlicht „Bass“ nennt.
Mit diesem lapidaren Titel verspricht er nicht zuviel: Denn Ilg präsentiert den Kontrabass mit einem so schnörkellos echten Ton, dass man das schwergewichtige Instrument beim Hören dieser 12 Songs förmlich vor Augen hat. Ilg lässt seinen Bass niemals à la Cello singen, er streicht die Saiten nicht, er zupft sie, bis sie weit und tief schwingen und ihre dunkelsten Farben freigeben. Zu dieser radikalen Ehrlichkeit passen die einfachen volksliedhaften Melodien, die er bevorzugt. Es sind Traditionals oder doch Songs, die fast wie traditionelle Volksweisen klingen, einschließlich der eigenen Kompositionen, die Ilg hier beisteuert.
Eingangs- und Schlussnummer ist ein eingängiges koreanisches Volkslied („Arirang“), das Ilg zunächst in aller Schlichtheit vorstellt, um es dann in einen rockgeprägten Riff zu verwandeln, über den er eine rasend schnelle Improvisation legt. Gute Riffs sind die große Kunst des Sideman, der hier alles zeigt, was er kann, dabei jede Effekthascherei vermeidet und seinen vorgefundenen musikalischen Schätzen treu bleibt.
Dazu gehören auch zwei Volkslieder aus dem deutschsprachigen Raum, „Guter Mond Du gehst so stille“ und „Es, Es, Es, und Es“. Das um 1780 entstandene Wiegenlied und das Handwerksburschenlied aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheinen in Ilgs Bass-Version ohne jede Rührseligkeit. Im Tonfall und im Solo-Spiel dieses Bassisten verliert sich alle Sentimentalität, die Volkslied-Melodien so schnell auf sich ziehen können. Wer sich an „Es, Es, Es und Es“ aus eigenen Kindertagen erinnert, wird das Lied in der schleppend düsteren Interpretation durch Ilg zunächst kaum erkennen.
So wie er mit bestehenden Mustern bricht, so wenig lässt er sich andererseits auf ein Schema festlegen. Sein Blues („E-Blues“) ist ebenso überzeugend wie seine Adaption einer Verdi-Arie („Ilgoretto“!), seine Version des American-Songbook-Klassikers „I Fall in love too easily“ ist so gelungen wie seine Fassung des japanisch inspirierten „Tsuyu“, eines Titels von Charlie Mariano, seinem langjährigen Duo-Partner.
Dass er sein Instrument auch noch ganz anders traktieren kann, beweist der Bassist mit Humor und Spielwitz in der Eigenkomposition „Animal Farm“, in der er lautmalerisch einen ganzen Zoo nachahmt. Hier wird tierisch gequietscht und gejault, der Holzkorpus des Instruments wird zum vielfältigen Klangapparat. Zu den schönsten Titeln des Albums gehört „Cousin Mary“ von John Coltrane. Einem schmerzhaft hart geschlagenen monotonen Riff folgen wild groovende Motivlinien, die weich gewordenen Töne scheinen sich zu überschlagen, bis ein erneuter Riff den Steigerungen schlagartig ein Ende setzt.
Dieter Ilgs Spiel ist von einer betörend radikalen Offenheit. Er führt sein Instrument auf eine Weise vor, in der Tonfall und Korpus eins werden. Der Virtuose, ein Meister der Schnelligkeit, zügelt sich immer wieder, um auf seine musikalischen Grundgedanken zurückzukommen, auf allereinfachste Formen, auf Lieder, die aus aller Welt stammen und die sich in ihrem schlichten Gestus gleichen. „Bass“ ist ein starkes Solo-Album. Es macht hörbar, wie sehr der Bass ist nicht nur zum Begleiten gut ist, sondern selber ganze Geschichten erzählen kann.
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Hans Happel, 14.12.2008