"La
revancha del tango". Plötzlich kehrte ein Rhythmus in unseren
Alltag zurück, der die Menschen seit Jahrzehnten fasziniert,
der zwar nie völlig aus der Mode kam, der aber dennoch nie wirklich
zeitgemäß schien. Tango und modern - wohl kaum.
Seit
dem Gotan Project und ihrer "Revancha del tango" ist alles
anders. Das Trio aus Paris, bestehend aus Eduardo Makaroff, Philippe
Cohen Solal (Keyboards und Bass) und Christoph H. Müller (Programming)
verknüpfte die Leidenschaft des Bandoneons mit der Kühle
elektronischer Beats und entfachte das Feuer des Tango neu. Erstmals
seit langem erreichten sie damit für den Tango auch wieder ein
junges Publikum, das sich in den angesagten Clubs der französischen
Hauptstadt, bald auch im übrigen Europa, wieder für den
erotischsten aller Standardtänze zu interessieren begann.
Nun
liegt das zweite Album des Trios vor: "Inspiración - Expiración",
das allerdings eher als "Begleiter" des Debüts, und
weniger als sein Nachfolger verstanden werden will. "A Gotan
Project DJ Set" heißt es im Untertitel, und tatsächlich
mischte der Kopf des Trios, Philippe Cohen Solal, 12 Tangos zu einem
durchgängigen Set, hypnotisierend, pulsierend, cool und heiß
zugleich. Die elektronischen Elemente wurden gegenüber dem Debüt
von 2002 nochmals verstärkt, um den Rhythmus des Tangos zu betonen
und das Tempo wurde entsprechend angezogen - tranceartig erfüllt
die Musik den Raum.
"Inspiración
- Expiración" ist ein Wortspiel, es bezeichnet sowohl
die Einflüsse des Gotan Projects als auch seinen aktuellen Ausdruck.
Die "InspiraciÓn" holt sich das Projekt bei den Großen
des Genres, bei Domingo Cura, bei Cerioti ("La cumparsita")
- natürlich bei Astor Piazzolla. Ohne ihre Arbeit wäre der
Tango des Gotan Project gar nicht denkbar. Doch es gibt eine Hommage,
und zwar an die Legende des Cool Jazz, Chet Baker. Von ihm ließ
sich das Gotan Project vor allem in Bezug auf die Coolness des Sounds
inspirieren. Wo Baker mit seiner einsamen Trompete die Luft gefrieren
ließ, so geht dem Zuhörer des Gotan Projects das Bandoneon
durch Mark und Bein.
Für
die "Expiración" bedient sich Cohen Solal einiger
illustrer Gäste, die Remixes von Eigenkompositionen des Trios
produzierten. So steuerte Peter Kruder (Kruder & Dorfmeister)
seine Fassung von "Tríptico" bei, die Wüstenrocker
Calexico überarbeiteten "La del ruso", die spanische
Schauspielerin Cecilia Roth sprach den Text zu "Confianzas".
Von Cohen Solal wurden diese und weitere Remixe in seinen durchgängigen
Klangteppich eingewebt. Die Komponenten dieser Zeitreise aus Tango,
Electro, Hiphop Jazz und Techno scheinen sich fast automatisch ineinander
zu fügen. So geht "Inspiración - Expiración"
mit seinem süchtig machenden Rhythmus unmerklich, aber unweigerlich
in die Beine.
Auf
einer Bonus-CD folgt dann die Visualisierung der Tango-Visionen des
Gotan Project. Prisca Lobjoy heißt die Regisseurin, die das
Trio seit seiner Gründung unterstützt. Ihre Bilder unterstreichen
die elegante Ästhetik des Tangos, und gemeinsam mit der Musik
ergibt sich ein Gesamteindruck, der alle Klischees Lügen straft:
Tango ist modern. Mehr denn je.
Michael
Frost, 27. Oktober 2004