"Richtig
interessant wird Filmmusik erst, wenn sie eigenen Stilwillen entwickelt,
wenn sie geistig dazu in der Lage ist, Handlung zu kommentieren und
die Stimmung einer Story zu eigenem Leben zu erwecken." Was Franz
Everschor im neu erschienenen "Lexikon des Internationalen Films"
(Verlag Zweitausendeins) von guter Filmmusik einfordert, gilt unbedingt
für die Musik, die Philip Glass zu "The Hours" geschrieben
hat.
Der
Film von Stephen Daldry, der schon mit seinem Debüt "Billy
Elliott" gezeigt hat, wie klug er mit Musik umzugehen versteht,
ist eine kongeniale Literaturverfilmung und ein Schauspielfilm von
seltener Intensität, denn hier sind Haupt- und Nebenrollen gleichrangig
stark besetzt (und nicht nur Nicole Kidman hätte einen Oscar
verdient).
Zugrunde liegt ihm der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman
von Michael Cunningham "Die Stunden", in dem Geschichten
von drei Frauen aus drei verschiedenen Zeiten erzählt werden.
Die
Schriftstellerin Virginia Woolf (Nicole Kidman) sucht 1923 nach dem
ersten Satz ihres Romans "Mrs. Dalloway", die junge Mutter
Laura Brown (Julianne Moore) liest 1949 Woolfs Roman, während
sie auf der Flucht vor dem Ehe-Gefängnis am Geburtstag ihres
Mannes ein Hotelzimmer in Los Angelos aufsucht, die New Yorker Lektorin
Clarissa Vaughan (Meryl Streep) plant - 2001 - eine Party für
den AIDS-kranken Schriftsteller und Freund Richard (Ed Harris), der
sie Mrs. Dalloway getauft hat.
Alle
drei Frauen suchen nach einem Weg in ihrem Leben, der die traditionellen
Regeln einer von Männern dominierten Gesellschaft aufbricht.
Der Film übersetzt die kunstvoll verschachtelte Erzählstruktur
des Romans in eine Dramaturgie aus kurzgeschnittenen Parallelmontagen,
die die Geschichten der drei Frauen bis hin zu einzelnen Blicken,
Gesten und Haltungen parallelisiert.
Die
Musik von Philip Glass ist geradezu programmatisch für die Strenge,
mit der Roman und Film vorgehen. Kein Wunder, dass Michael Cunningham
im - schön gestalteten - Booklet die Musik von Glass mit dem
Romanwerk von Woolf vergleicht. Beide seien aus traditionellen "Erzählweisen"
ausgebrochen zugunsten meditativer Formen, die die Gegenwart der Zeit
zum Thema machen. "Glass findet in drei wiederholten Noten etwas
von dem fremden Entzücken am Immergleichen (Sameness), was Woolf
an einer Frau namens Clarissa Dalloway entdeckt, die Besorgungen an
einem gewöhnlichen Sommermorgen macht."
We
are creatures who repeat ourselves, schreibt er weiter, und diese
Lust an der Wiederholung macht Glass zum musikalischen Prinzip.
Der
1937 geborene amerikanische Komponist ist spätestens seit seiner
Musik zum experimentellen Dokumentarfilm "Koyaanisquatsi - Prophezeiung"
(1983) zum Superstar der Minimal Music geworden, in der ein fließendes
Klanggewebe mit wenigen rhythmisch-melodischen Formeln in ostinaten
Wiederholungen erzeugt wird.
Die
14 Stücke von "The Hours" - zum Teil aus älteren
Werken übernommen - haben einen transparenten, kammermusikalischen
Charakter. Einspielungen des "Lyric Quartet" wechseln mit
Musik für Piano (Michael Riesman) und Orchester (Leitung Nick
Ingman). Gemeinsam ist ihnen eine meditative Haltung, die breit gestrichenem
Gefühlkitsch aus dem Weg geht. Glass strenge Formeln sind stets
gepaart mit harmonischer Sanftheit, seine permanenten Wiederholungen
und weichen Verschiebungen haben etwas stark Suggestives, diese Musik
wird zum Bindeglied zwischen den Geschichten der drei Frauen: Im treibenden
Fluß der Musik scheinen die "Stunden" der Frauen aus
historisch unterschiedlichen Zeiten und Lebensumständen zu einer
Einheit zu verschwimmen.
Welche
Kraft diese Klänge unabhängig vom Film haben, ist für
den, der sie mit seinen Bildern verbindet, kaum zu einzuschätzen,
aber das Schwebende und Tranceartige, das ihnen innewohnt, nimmt bei
wiederholtem Hören keineswegs ab. Diese Musik betört, ohne
zu überrumpeln, sie folgt eigenständig dem Gedanken des
Films (und des Romans), sie spricht - in Virginia Woolfs Worten, die
Cunningham als Motto voransetzt -, von den "schönen Höhlen
hinter den Figuren" oder von "Menschlichkeit, Humor, Tiefe".
© Hans Happel, 14. April 2003