"Ich bekomme gleich spitz, wenn jemand nicht das lebt, worüber er singt. Aber es gibt eben auch jede Menge Künstler, die gegen solche Heuchelei ankämpfen. Ich nenne sie 'Liejacker' - in Anlehung an Hi-jacker, Flugzeugentführer."
Thea Gilmore liebt das klare Wort, und sie hängt die Messlatte für die eigene Arbeit bewusst sehr hoch. Die Britin, die schon vor zehn Jahren ihr erstes Album veröffentlichte, dem fünf weitere folgten (zuletzt erschien "Harpo's ghost" 2006), positioniert sich mit ihrem Statement als Songwriterin in einer Traditionslinie, die von Frauen wie Joni Mitchell und Joan Baez begründet wurde. "Joan Baez", sagt Gilmore, "erfand vor über vierzig Jahren quasi meinen Beruf."
Auf "Liejacker" finden die amerikanische Ikone des Protestsongs und ihre junge Kollegin zueinander. "The lower road", von beiden gemeinsam gesungen, ist der atmosphärische und musikalische Höhepunkt eines über die Maßen beeindruckenden Albums.
Beeindruckend, weil Thea Gilmore sich beherzt gänzlich unmoderner Musikstile bedient und diese dennoch so interpretiert, dass die Musik nicht eine Sekunde lang altbacken, verstaubt oder reaktionär klingt. Vor einem Hintergrund aus Folk, Country und Bluegrass, begleitet von Gitarre, Schlagzeug, Ukulele und Mundharmonika, Mandoline und Fiedel (grandios: Steve Wickham) wird Thea Gilmore zur wortgewandten Erzählerin von echter Liebe und falschen Propheten, Verzweiflung, Verletzung und Tod.
Ihre Musik ist im besten Wortsinne "textlastig", so sehr, dass die Worte kaum ins Booklet passen, und trotzdem nicht überladen wirken, sondern, den eigenen Anspruch einlösend, echt und direkt, niemals pathetisch oder gar heuchlerisch, und schon gar nicht zu Lasten der Musikalität gehen. Im Gegenteil: Mit "You spin me right round", dem Bonus-Track zum Ende, beweist sie sie sogar jede Menge Witz, indem sie den New-Wave-Klassiker von 1984 mit den gleichen Instrumenten arrangiert wie auch ihre eigenen Songs, bis schließlich ein Folkrocksong daraus wird.
Dass Joan Baez voll des Lobes über ihre junge Kollegin ist und sie schon vor dem Duett auf "Liejacker" mit auf Tour nahm, erstaunt letztlich wenig. Auch mit Martha Wainwright, derzeit selbst eine der einflussreichsten Songwriterinnen, stand Thea Gilmore schon auf der Bühne. Überraschend ist nur, dass man nicht schon längst mehr Notiz von dieser außergewöhnlichen Sängerin genommen hat, aber mit "Liejacker" hat Thea Gilmore beste Chancen, den "Geheimtipp"-Status zu verlassen.
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Michael Frost, 29.06.2008