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"Enamorada"


Er gilt als einer der besten Kontrabassisten der Welt. Seitdem er Mitte der 80-er Jahre seinem Instrument eine fünfte (hohe) Seite hinzufügte, verwandelte er den Bass von einem Begleitinstrument zum solistischen Mitspieler im Jazz-Ensemble.

Mit Hilfe seiner „atemberaubenden Bogentechnik“ (Reclams Jazz-Lexikon) entwickelt er eine mediterrane Musiksprache, in der Flamenco, afroamerikanische Traditionen und französisches Flair zu einem erkennbar eigenem Stil verschmelzen, einem flirrend-lebendigen Gewebe aus schönsten Melodien und kräftigsten Rhythmen.

Renaud Garcia-Fons, 1962 bei Paris in Boulogne Billancort in einer Familie spanischer Herkunft geboren, hat nach Klavier- und Gitarrestudium erst spät – 16-jährig - zum Kontrabass gefunden. In seiner stets singenden Musik scheinen die frühen Impulse mitzuschwingen, denn Renaud Garcia-Fons entwickelt auf dem Bass melodische Improvisationen wie auf einer Solo-Gitarre, und das Akkordeon (David Venitucci) schmiegt sich im Tonfall gelegentlich so eng an den singenden Bass, als würden beide Instrumente aus einem Korpus entstammen.

Wie stark Renaud Garcia-Fons der Tradition des andalusischen Flamenco verbunden ist, beweist nicht nur die junge Flamenco-Sängerin Esperanza Fernandez, die mit rauer, eindringlich kraftvoller, elegischer Stimme als Gast mitwirkt, auch der Flamenco-Gitarrist Kiko Ruiz und Pascal Rollando als Percussionist – ebenbürtige Virtuosen im großartigen Quartett - unterstreichen diese Seite des musikalischen Südens, in den Renaud Garcia-Fons die Hörer entführt.

Ja, es ist eine Entführung, denn diese 11 Stücke – allesamt selbst komponiert - verzaubern und berauschen. Aus ihnen spricht ein Wärmestrom, der nicht träge dahinfließt, sondern wild und wirbelnd, von einer Leidenschaft getrieben, in der virtuose Brillanz sich mit der Liebe zu einfachen, volkstümlichen Formen paart.

In „La Linea del Sur“ – so der schöne, programmatische Titel des Albums – kehrt Renaud Garcia-Fons zu den Anfängen seiner Kindheit zurück, zu den vielstimmigen musikalischen Strassen, zwischen denen er aufgewachsen ist, die ihn von Andalusien in die Neue Welt geführt haben. Die Kompositionen begreift er als Buch voller Kurzgeschichten, allesamt Teil der „Chronik eines imaginären, grenzenlosen Südens, eines Traumlands, das in einer Vielzahl von musikalischen Stilen wurzelt“.

Zu diesem Traumland gehören auch die reizvollen Fotos von Javier Arcenillas, von denen sich der Komponist hat inspirieren lassen. Das Münchner Label Enja-Records, das hier zum achten Mal ein Album von Renaud Garcia-Fons veröffentlicht, zeigt im sorgfältig gestalteten Booklet eine ganze Reihe dieser anrührenden, schwarz-weißen Bilder: Zu sehen sind kleine und große Menschen in Situationen, die von Aufbruch, Befreiung und Alleinsein sprechen. „Enamorada“ heißt das Lied, mit dem Esperanza Fernandez den Schlusspunkt setzt, das entsprechende Foto zeigt zwei Jugendliche, einen Jungen, ein Mädchen, irgendwo auf der Welt, vielleicht in einer Hüttensiedlung, einer blickt die andere an, es ist ein wortloser, fragender, schmerzhafter Blick, „enamorada“.

© Hans Happel, 10.05.2009


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