Längst ist aus den einzelnen jungen Sängerinnen, die ihre Musik im Grenzbereich zwischen Pop und Jazz ansiedeln, ohne sich jemals für das eine oder andere Genre zu entscheiden, eine ganze Bewegung geworden. Namen wie Silje Nergaard, Rebekka Bakken, Rigmor Gustafsson oder Cæcilie Norby leisteten hier Pionierarbeit. Den Skandinavierinnen folgen inzwischen jedoch auch anderenorts junge Kolleginnen. Zum Beispiel in Berlin.
Jessica Gall absolvierte dort ihre musikalische Ausbildung an der Hanns-Eisler-Hochschule für Musik. Und auch sie möchte sich wohl nicht endgültig für Pop oder Jazz entscheiden. Also bedient sie sich aus dem Fundus ihrer Lieblings-(Pop)Songs und spielt sie mit einem munteren Jazz-Ensemble ein: Bene Aperdannier (p), Jo Ambros (git), Edward Maclean (b) und Martell Beigang (dr).
Ihre Stimme ist warm, sanft und klar, und meistens sehr zurück genommen. Dass in ihr auch eine Soul-Sängerin steckt, ahnt man zwar, bekommt es aber nur im Ausnahmefall zu hören ("With you I can be me"). Sowohl den eigenen Kompositionen als auch den überraschend gewählten Coverfassungen (u.a. der Clash-Song "Should I stay or should I go") gewinnt sie dabei eine eigene Seite ab, eine neue Perspektive, die ihre Version vom Original deutlich unterscheidet - und aufhorchen lässt.
Das gilt selbst für John Lennons "Imagine", nach erklärter Meinung des Rezensenten ein Tabu für jeden Nachsänger. Ohne diese Position im Grundsatz aufzugeben, muss man Jessica Galls behutsamer Jazz-Version dieses Klassikers Anerkennung zollen: Im Unterschied zu vielen Kollegen gelingt ihr hier eine echte, vollkommen unpathetische, Hommage.
Angenehm zurückhaltend, niemals überfrachtet, statt dessen mit feinem Gespür für die Stimmung jedes einzelnen Songs, präsentieren Jessica Gall und ihre Begleiter auch die übrigen Stücke auf "Just like you", immer auf dem schmalen Grat zwischen Popballade und Bar-Song. So zeigt dieses hörenswerte Debüt, dass man sein Publikum auch mit künstlerischem Anspruch sinnlich unterhalten kann.
©
Michael Frost, 17.03.2008