Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

In der Zwischen-Zeit


Es war vor zwanzig Jahren, als Charlotte Gainsbourg ihren ersten Song aufnahm. Sie war gerade vierzehn Jahre alt, und das Duett mit ihrem Vater Serge löste einen Skandal aus: "Lemon Incest". Es war nicht die erste Provokation des französischen Über-Musikers Serge Gainsbourg. Weltberühmt wurde er Jahre zuvor mit dem lasziv dahin gehauchten "Je t'aime ... moi non plus", auch dies ein Duett, mit seiner kongenialen Partnerin Jane Birkin - Charlottes Mutter.

Als Tochter dieser legendären Beziehung ist Charlotte Gainsbourg nie eine Unbekannte gewesen. Doch als Schauspielerin ist sie dem Schatten der Eltern entkommen. Und nun, so scheint es, bekommt ihre Karriere einen weiteren Schub. Denn seit Bekanntwerden ihrer Arbeit an einer CD-Veröffentlichung wuchs das öffentliche Interesse an Charlotte Gainsbourg gewaltig.

Nun liegt die CD vor. "5.55" heißt sie, und sie ist dem Moment zwischen den Tagen gewidmet, den Minuten, in denen die letzte Nacht bereits Vergangenheit, der neue Tag jedoch noch Zukunft ist: "Too late to end it now // too early to start again ...".

Die Atmosphäre dieser eigenartigen, kaum greifbaren Zwischenwelt atmet das gesamte Album, großartig eingefangen und umgesetzt von Nicolas Godin und Jean-Benoit Dunckel, besser bekannt als "Air". Wie bereits auf ihren eigenen Alben oder die Filmmusik für Sofia Coppola ("The Virgin Suicide") gelingt es dem Electronica-Duo, mit überwiegend minimalem Aufwand eine federleichte Stimmung zu erzeugen, die sich jenseits von Zeit und Raum abzuspielen scheint.

Im Unterschied zu ihren bisherigen Arbeiten setzen Godin und Dunckel hier jedoch vorwiegend akustische Instrumente ein. Vor allem das Klavier fällt auf; es dient nicht etwa als klassischer Begleiter getragener Chansons, sondern als spielerisches Element, das den luftigen Sound trägt und sich, einem Windspiel gleich, um die Melodien legt.

Charlotte Gainsbourg unterstützt diesen Eindruck mit zartem Flüsterton, ganz in der Tradition der großen französischen Sängerinnen, und wird selbst zum Instrument in dieser verschlafenen Zwischenwelt um "5.55".

Doch im Gegensatz zu Jane Birkin, die als Interpretin der französischen Texte von Serge Gainsbourg gefeiert wird, wollte Charlotte Gainsbourg in englischer Sprache singen. Jarvis Cocker ("Pulp") schrieb die Texte zu den elf Songs auf "5.55", das schließlich mit dem "Morning song" endet: "But to get to the morning // first you have to get through the night ..."

© Michael Frost, 09.09.2006


[Archiv] [Up]