"Das
ist doch...!" sagt eine Freundin, als sie neulich bei mir diese
Stimme hörte. Ich ahne, wen sie meint, denn ich dachte beim ersten
Hören auch sofort, das ist doch......Aber mir war der Name ebenfalls
entfallen. Also blätterte ich in meinen alten LPs und fand sie:
Ja, diese Stimme klingt nach Joni Mitchell, nach jener warmen, hellen,
zarten Sängerin, die in ihren Songs vom Konflikt zwischen schönem
Traum und trister Realität erzählt.
Sie
klingt nach einer Renaissance des 60-er Jahre-Gefühls, nach jener
Mischung aus Folk, Blues, Protest- und lyrischen Liedern, die so einfach
und gleichzeitig kräftig sind, dass sie sich ins Gedächtnis
schleichen und zum Mitsummen reizen.
Nadia
Maria Fischer heißt die Sängerin, die sich jetzt mit ihrem
Debüt-Album "Talk" vorstellt. Sie ist hörbar ein
Kind der 60-er Jahre. Das bewirken nicht nur der Joni-Mitchell-Ton,
der Folk-Charakter ihrer Songs und die entsprechende Gitarrenbegleitung:
es sind die Eigenkompositionen dieser Sängerin, die sie als hochbegabte
Songwriterin ausweisen mit einem Hang zu jenen Zeiten, als die Lieder
noch mit Aufbruch und Veränderung einhergingen.
Nadia
Maria Fischers Debüt erscheint in der Reihe "Next Generation",
einer Gemeinschaftsproduktion der Zeitschrift JAZZthing und des Kölner
Labels Double Moon Records, die jungen Musikern helfen will, "ins
Blickfeld der Öffentlichkeit zu gelangen". Das Booklet enthält
- dankenswert - sämtliche Texte der 11 Titel, darunter fünf
Eigenkompositionen.
Nadia
Maria Fischer ist jedoch keineswegs eine Epigonin, aber sie und ihre
beiden Begleiter Norbert Scholly (Gitarre) und Dietmar Fuhr (Bass)
suchen auf anderen Pfaden nach einem neuen Weg als viele ihrer gleichaltrigen
Zeitgenossen. Diese Sängerin verkörpert weder den vollen
weiblichen Wohlklang einer Rebecca Bakken, noch strahlt sie jene erotische
Aura aus, wie sie viele junge Kolleginnen kultivieren (am gekonntesten
Solveig Slettahjell), auch beherrscht sie nicht jene Frasierungstechniken
des klassischen Jazz-Gesangs, die Ulita Knaus zu einer der besten
deutschsprachigen Vokalistinnen machen.
Ihre
Stimme hat etwas geradezu Fragiles, sie changiert zwischen gebrochenen
und dunkleren Tönen, die zum rauen Blues passen, und jenem warmen
Ton des Folksongs, mit einem Wort: sie klingt unfertig, aber gerade
dadurch authentisch.
Es
wird kein Zufall sein, dass Nadia Maria Fischer ihr Album mit dem
Steve-Winwood-Titel "Can´t find my way home" eröffnet,
dessen Blues-Note sie mit ihrer passenden Stimme Wort für Wort
beglaubigt. Das Titelstück "Talk" - eine Eigenkomposition
- ist eine Referenz an klassische Blues-Nummern, eine Hommage, die
erstaunlicherweise gar nicht sentimental oder unecht klingt. Man glaubt
dieser Sängerin die eigenen Worte "I´m feeling
so sad/I´m feeling ignored/Let´s face the facts/you don´t
want me no more
". Man glaubt ihr vor allem den Schmerz.
Dabei
spielen ihre beiden Sidemen eine überaus wichtige Rolle: Der
Gitarrist Norbert Scholly ist mehr als ein souveräner Begleiter.
Mit sparsamen, aber überzeugenden Soli verstärkt er jenes
Folk-Feeling, das Bassmann Dietmar Fuhr diskret unterstützt und
zugleich in Richtung Jazz ausbalanciert.
Nadia
Maria Fischers Thema ist der Konflikt zwischen Sehnsucht nach Nähe
und Angst vor Nähe, dem sie sich in mehreren Songs annähert,
besonders eindringlich in "Sorry", dem schönsten unter
ihren eigenen Titeln, der direkt ins Herz zielt und dennoch jenseits
aller Kitschzonen liegt. ("I promised to love and never leave
you alone/ now you are all alone, and so am I, and I cry
")
Im
Bonus-Track singt sie diesen Song noch einmal live und begleitet sich
selber am Klavier. Auch hier bleibt die Melancholie spröde. Unverschämt
mutig aber ist ihre Cover-Version des Abbey-Lincoln-Songs "Throw
it away". Das Lied der schwarzen Jazzsängerin und Bürgerrechtsaktivistin
hatte zuletzt Cassandra Wilson aufgenommen (auf dem Album "glamoured"),
und es stand bei ihr ebenso programmatisch wie in Nadia Maria Fischers
"Talk": "live your life each and every day/ And keep
your hands wide open".
So
versteht sich diese junge Sängerin: Sie verschenkt sich in ihrer
Musik und sie lässt in ihren Liedern etwas anklingen, das vergessen
zu sein schien, aber offensichtlich von einer jüngeren Generation
wieder ernst genommen wird: Eine Aufbruchsstimmung, ein Tonfall, der
ohne ein einziges explizit politisches Wort dennoch etwas Allgemeines
in sich trägt, einen Moment von Rebellion, von Graswurzel-Stimmung.
Nadia Maria Fischers "Talk" ist mehr als ein Gespräch
wert.
"Nadia
Maria Fischer: Talk"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, Oktober 2005