Ein guter Popsong ist "perfekt komponiert, super tight arrangiert und fett produziert", und, wichtiger noch: "er macht in 3.30 Minuten alles platt". So jedenfalls definieren es Fans (Rolling Stone Forum). Als Merkmal für Perfektion gilt dabei die fehlende Abnutzung auch nach Jahrzehnten und zig-fachem Hören.
So gilt es für Fans. Musiker auf der Suche nach dem perfekten Song haben andere Möglichkeiten, zum Beispiel den der Dekonstruktion. Was nämlich bleibt, wenn man einen Popsong um das "super tighte" Arrangement und die "fette" Produktion beraubt? Im besten Fall die "perfekte Komposition". Oder aber die Enttäuschung.
"Frau Contra Bass" wählt exakt diesen Weg der Dekonstruktion. "Einfach nur Hits bearbeiten, wäre keine Herausforderung", sagt Hanns Höhn. Er ist das "Contra Bass" in dieser Formation, Katharina Debus die "Frau", von der alles abhängt: Ihrem Melodie führenden Gesang obliegt der Spagat zwischen Original und dem Ausmaß seiner Dekonstruktion, während Hanns Höhn in teils Atem beraubender Intensität allein mit dem Kontrabass die komplette Begleitband ersetzt.
Dabei trotzt er dem unhandlichen Instrumenten ein frappierendes Maß an Beweglichkeit ab, das in der Interpretation von Steve Millers "The joker" einen fulminanten Höhepunkt findet. Andere Neubearbeitungen, etwa von Elton Johns "Your song", Stevie Wonders "Too high", Tom Waits' "Take me home" und sogar Udo Lindenbergs "Ich lieb dich überhaupt nicht mehr" wurden einer so starken Veränderung unterzogen, dass man sie erst nach einiger Zeit erkennt. Katharina Debus verlegt die Songs mit der herausragenden Bandbreite ihrer stimmlichen Möglichkeiten direkt in den Jazz. Dabei löst sie sich immer wieder deutlich von der ursprünglichen Melodie - bis zur freihändigen Interpretation. Darin erinnert sie an die portugiesische Vokalakrobatin Maria João, wenn auch mit deutlich dunklerem Timbre.
Solchermaßen auf die pure Komposition und den reinen Klang zurückgeworfen, erreicht "Frau Contra Bass" das selbst gesteckte Ziel, nämlich "andere Seiten dieser Songs zum Funkeln" zu bringen, mit dem Charisma einer einzelnen Stimme und der erhabenen Eleganz eines ungewöhnlichen Instruments.
"Musica nuda", nackte Musik, nennen
Petra Magoni und Ferruccio Spinetti ihr gleichartiges Projekt. Die beiden Italiener adaptieren schon seit einigen Jahren mit einigem Erfolg Klassiker der Pop/Rock-Geschichte mit Stimme und Kontrabass. Im Unterschied zu Frau Contra Bass führen ihre Versionen allerdings weniger in den Jazz, sondern sie verlassen das ursprüngliche Genre gar nicht. Die dadurch entstehende Ironisierung der Originale ist Frau Contra Bass fremd: Ihre Dekonstruktion weist die stilübergreifende Qualität ihrer Vorlagen nach, folglich "die perfekte Komposition" - und übrigens auch der perfekte Klang. Aufgenommen wurde das Album "Saal 3" nämlich mit der exzellenten Akustik des gleichnamigen Aufnahmestudios im ehemaligen Funkhaus des DDR-Rundfunks in Berlin.
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Michael Frost, 29.08.2009