"Du
musst jede Note mit Stolz spielen." Der Satz fällt in der
Mitte des Dokumentarfilms "Iag Bari - Brass on fire". Er erzählt
die Geschichte von Fanfare Ciocarlia, einer zwölfköpfigen
Bläsergruppe aus dem äußersten Osten Rumäniens.
Ihr Dorf Zece Prajini ist auf keiner Landkarte zu finden, und auch die
Bahn hält dort nicht wirklich - sie bremst nur ab. Es gibt keinen
Bahnhof, also muss man den richtigen Zeitpunkt "fühlen",
um aus dem Zug zu springen.
So
erzählt es der Film von Ralf Marschalleck aus dem Jahr 2002,
der die einzigartige Kombo in ihrem Dorf jenseits der Karparten besuchte
und sie auf Reisen ins Ausland begleitete.
Die
Männer aus Zece Prajini spielen bereits seit vielen Jahren zusammen.
Sie bewahrten sich in der Isolation ihres Dorfes eine Tradition, die
bereits von ihren Vorfahren gepflegt wurde. In Zece Prajini ist es
guter Brauch, dass schon die Kinder ein Blasinstrument lernen und
früh in die Gemeinschaft der Blechbläser aufgenommen werden.
Ioan Ivancea, Klarinettist bei Fanfare Ciocarlia, spielte bereits
mit 14 Jahren gemeinsam mit seinem Vater und den anderen Männern
auf Familienfeiern in der Umgebung.
So genoss Fanfare Ciocarlia schon vor ihrer internationalen "Entdeckung"
einen legendären Ruf. Vor allem in den sechziger Jahren, erzählt
Ioan Ivancea, hätten sich die Männer des Dorfes vor Engagements
kaum retten können.
Es
war Henry Ernst, ein von der Musik osteuropäischer Roma Begeisterter,
der die Band in ihrem Dorf ausfindig machte und schnell erkannte,
welche Möglichkeiten in ihr steckten. Also nahm er Probebänder
auf um sie deutschen Plattenfirmen vorzustellen. So wurde aus der
Hochzeitskapelle ein hart und mit äußerster Konzentration
arbeitendes Orchester - ein Märchen der Musikgeschichte, in etwa
vergleichbar der späten Karrieren des Buena Vista Social Club
oder von Cesaria Evora, die von einem französischen Produzenten
von ihrer Strandbar auf den Kapverden direkt nach Paris geholt wurde.
Der
Fortgang der Karriere der zwölf Musiker aus Zece Prajini ist
fast schon Geschichte. Sie wird von Marschalleck in einfühlsamen
und ausdrucksvollen Bildern noch einmal erzählt. Die Musiker
aus ärmlichen Verhältnissen werden zu Stars auf internationalen
Bühnen. Fast verlegen quittieren sie den enthusiastischen Applaus
ihrer Zuhörer in Berlin. Und vermutlich hätte auch die ehrwürdige
Alte Oper in Frankfurt ("Dem Guten, Schönen, Wahren")
sich nicht träumen lassen, dass ihre Bühne eines Tages von
einer temperamentvollen Zigeunertruppe vom Rande Europas geentert
werden könnte, die das Parkett in eine ausgelassene Partygesellschaft
verwandelt.
Bis
nach Tokyo begleitet Filmemacher Marschalleck die Gruppe. Dort sieht
man sie, auf einem der belebtesten Plätze der Stadt, inmitten
greller Leuchtreklamen und hektisch vorüber eilenden Menschen,
kurz vor einem improvisierten Straßenkonzert, das irritierte
Ordnungshüter der japanischen Metropole auf den Plan ruft. Fünf
Minuten können die Musiker den sichtlich überforderten Polizisten
abhandeln, und tatsächlich gelingt es ihnen, einige der japanischen
Passanten zum spontanen Mittanzen zu animieren. Der Charme dieses
Dutzends, begleitet von zwei Tänzerinnen, funktioniert weltweit.
"Iag
Bari - Brass on fire" ist Bestandteil der ersten DVD der
Fanfare Ciocarlia, die 2004 veröffentlicht wurde. Umfassend wird darauf der bisherige Werdegang der
Musiker beleuchtet. Gezeigt wird auch die Veränderung, welche
die internationale Karriere mit sich brachte. Die Musiker haben die
Einnahmen aus ihren Tourneen und CD-Verkäufen zur Renovierung
und Vergrößerung ihrer ärmlichen Häuser in Zece
Prajini genutzt und außerdem den Bau der ersten Roma-Kirche
Rumäniens finanziert. Benannt wurde sie - wie könnte es
anders sein - nach dem Schutzheiligen der Musiker.
So
ist die Musik der Band Lebensunterhalt, Sozialpolitik und kulturelle
Selbstbehauptung in einem - ohne diesen Anspruch als solchen explizit
benennen zu müssen: Die Musik transportiert die Botschaft auch
ohne Worte, genauso wie "Iag Bari" fast ohne Kommentar auskommt.
1997
veröffentlichte Fanfare Ciocarlia die erste CD, zwei weitere
sind inzwischen hinzu gekommen. Das Orchester ist inzwischen in Konzerthallen
und auf Open-Air-Bühnen ebenso zu Hause wie in der stets etwas
sterilen Atmosphäre der Aufnahmestudios. Man könnte meinen,
die zunehmende Professionalität könnte zu Lasten der Spontaneität
und Authentizität ihrer Musik gehen.
Doch
auch in diesem Punkt geben sich die Mitglieder von Fanfare Ciocarlia
ganz als Profis, wie die DVD auf dem Mitschnitt eines kompletten Konzerts
im Berliner Kesselhaus vom April 2004 zeigte. In einer Neuauflage wurde der Mitschnitt im September 2009 nun auch als CD veröffentlicht ("Fanfare Ciocarlia Live", erschienen bei Asphalt Records/Indigo).
Am Ende des Auftritts
verlassen die Musiker die Bühne und mischen sich direkt unter
die Menschen. Sie spielen live und ohne Verstärker, direkt und
unmittelbar, und werden wieder eins mit ihrem Publikum. Dieses wiederum
wird Teil des Konzerts, verlässt die passive Rolle des Zuhörers
und kann direkt erfahren, was es damit auf sich hat, dass "jede
Note mit Stolz" gespielt wird. Denn diese Maxime hat das Orchester
nicht aufgegeben. Und die Botschaft wird verstanden.
©
Michael Frost, 27.10.2004/
Update: 08.10.2009