Passt wirklich alles, was nicht auf Englisch gesungen wird, in die Weltmusik-Sparte? Wohin sortiert man eine Band mit düsteren Beats, einer dunklen Frauenstimme und ihrem russischen Gesang? Drums&Beats, Dub, Folk und Polka schwingen mit, Wodka und die traurige Sehnsucht der Roma - insgesamt eine explosive Mischung, die von Irina Doubrovskaja zusammen gehalten wird.
"ErsatzMusika" nennt Doubrovskaja ihr Projekt, für das sie fast sämtliche Lieder und Texte im Alleingang schrieb, und "Voice Letter" heißt das Album, das im Herbst 2007 bei dem auf osteuropäische und Roma-Musik spezialisierten Label "Asphalt Tango" veröffentlicht wurde.
Tatsächlich ist ErsatzMusika nur eine gefühlte russische Band. Einige der sechs Musiker leben nämlich bereits seit den 90er Jahren in Berlin. Dort lassen sie einen Sound entstehen, der weniger nach Russendisko klingt als vielmehr nach dem Versuch, auf der Grundlage russischer Musik und Seele einen multikulturellen Clubsound zu kreiieren, dessen Zutaten sowohl aus östlicher als auch westlicher Richtung kommen.
Als Vorbilder dienen Doubrovskaja & Co. dabei offenbar Manu Chao und die Mitglieder seiner früheren Band "Mano Negra", die Ende der 80er Jahre in Paris ähnliches versuchten, indem sie mit Elementen aus Rock, Musette, Ska, arabischen und Latino-Rhythmen den "Ethno-Punk" begründeten.
Derart exaltierte Rhythmen lässt der russische Einfluss bei ErsatzMusika allerdings nicht zu. Trotz allen spürbaren Temperaments lassen sich Melancholie und Wehmut einfach nicht verdrängen. Genau diese Zutaten machen jedoch den schwelgenden Grundton von "Voice Letter" aus, der zusammen mit den raffinierten Arrangements, der tiefen Stimme Doubrovskajas und dem fremdartigen Klang der russischen Sprache wie elekrisierend wirkt.
Weltmusik hin oder her - Ideen wie ErsatzMusika entziehen sich diesen Kategorien, beziehungsweise begründen eine eigene. Dabei zeigt die Band, wie wichtig die Funktion Berlins als Brücke zwischen der lange getrennten Ost- und Westhälfte Europas geworden ist. Da wirkt der CD-Aufdruck "From Berlin with love" schon fast wie ein Gütesiegel.
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Michael Frost, 19.01.2008