Er
kann es noch immer. Brian Eno ist seit 35 Jahren im Geschäft, und
noch immer gelingen ihm Alben von berauschender Intensität, mitreißender
Rhythmik und erregender Atmosphäre. So wie "Another day on
earth", sein neues Album - das wievielte eigentlich?
Zahllos
sind seine Arbeiten, und seinen Sound trifft man praktisch an jeder
Straßenecke. "Another day on earth" beginnt mit einem
Song, der schlicht "this" heißt und an David Byrne
erinnert (Talking Heads), "And then so clear" könnte
einer der besseren U2-Titel sein, während "A long way down"
aus Peter Gabriels "Birdy"-Soundtrack zu stammen scheint.
Andererseits passte der Song auch zu Laurie Andersons markanter Stimme
...
So
entdeckt man in fast allen Songs den einen oder anderen alten Bekannten,
doch in Wirklichkeit verhält es sich wohl umgekehrt: Es ist Eno,
der den Sound so großer Kollegen wie David Bowie, Bono, John
Cale sowie der bereits Genannten formte, ihnen seinen Stempel aufdrückte
und ganz nebenbei mit unterschiedlichen Kunstformen von sich reden
machte. Wie groß sein Einfluss auf eine ganze Generation von
Künstlern war, ist und bleiben wird, machen erst seine unter
eigenem Namen veröffentlichten Produktionen deutlich.
So
wie "Another day on earth", das beweist, dass Eno noch immer
ein Magier der elektronischen Musik ist, ein Meister des Minimalismus,
der mit sparsamsten Mitteln ein Übermaß an Spannung und
Intensität zu erzeugen weiß und der auch heute noch, wo
jeder Halbwüchsige seinen Spaß an digitaler Soundfrickelei
auslebt, aus der Masse herausragt.
Dass
er seine Leidenschaft heute mit so vielen anderen teilt, dürfte
ihn allerdings wenig irritieren. Denn er hat nicht nur den Schulterschluss
mit der künstlerischen Avantgarde gesucht, sondern auch mit dem
Mainstream des Pop, und wurde so zu einem ihrer bedeutendsten Bindeglieder.
Dieses Prinzip wird auch auf "Another day on earth" wiederum
deutlich: Unablässig wandelt Eno zwischen potenziellem Charthit
und Klanginstallation. Wie gesagt: Er kann es noch immer.
©
Michael Frost, 18.06.2005