Im Nachhinein ist alles verständlicher. Zwar hatte man die beiden Norweger Jens Petter Nilsen und Hallvard Wennersberg Hagen alias "Xploding Plastix" bislang hauptsächlich als Electro-Pioniere wahrgenommen, doch hört man ihre Alben retrospektiv - vor allem das bislang letzte Album "Treated timber resists riot", scheint der Weg in ein neues Territorium bereits vorgezeichnet. Denn die beiden Soundtüftler hatten sich längst von ihrer donnernden Mixtur aus Dance/House/Techno/Electro verabschiedet, arbeiteten zwar weiter mit digitalen Sounds, die sie aber immer stärker zu epischen Klängen verarbeiteten.
Wohl um der künstlerischen Freiheit willen und die Xploding Plastix-Fans nicht vollends vor den Kopf zu stoßen, belebten ihr zuletzt 2003 aktives Sideprojekt wieder, mit dem sie ihre Ideen konsequent weiterentwickeln konnten. Gemeinsam mit Rita Augestad Knudsen als Sängerin bildet das Duo nämlich "The Electones" - wobei die Assoziation zu "electro" einigermaßen irreführend ist - für Nilsens/Wennersbergs-Verhältnisse ist "If you'll be null, I'll be void" schon fast ein Unplugged-Album geworden.
Doch ganz "ohne" geht es natürlich nicht. Bei der Mischung aus realen Instrumenten und Geräuschen mit Computerklängen orientieren "The Electones" sich hörbar an der frühen Phase des Electronica-Sounds, an die der Bandname tatsächlich anknüpft ("Electone" ist eine in de 1950er Jahren von Yamaha entwickelte E-Orgel). Verspielt werden Akustikgitarre, Glockenspiel und zarter Gesang miteinander verwoben - man fühlt sich an die luftigen Arrangements von Air erinnert, an die Soundfrickeleien von Amiina (die ständigen Begleiterinnen von Sigur Rós), an Múm, aber auch an Björks Frühwerk mit den Sugarcubes . Vor allem der kokett-mädchenhafte Gesang von Rita Augestad Knudsen ("A box of rain") erinnert im Zusammenspiel mit den gut gelaunten Melodien an den internationalen Karrierebeginn der Isländerin.
"If you'll be null, I'll be void" beginnt, wie auch das kommende Album der Kings of Convenience beginnen könnte: Akustikgitarre, Glockenspiel, Schlagzeug und Klavier. Doch dann ziehen die Drums an, Keyboards übernehmen den Klavierpart - mit "Electricity wants to dance" nehmen The Electones die Bandbreite ihres Spektrums bereits vorweg. Andererseits weisen Songs wie "Jubilee humming" oder "Summercloud" in Richtung Folk und Jazz, "The non sequitur" - mit Banjo und Tamburin - erzeugt Bluegrass/Hippie-Atmosphäre, während "Right foot from left" schon fast als Mainstream-Pop durchgehen könnte: catchy Melodie, schwungvoller Rhythmus, zartschmelzender Gesang im Kontrast mit langen Instrumentalpassagen, in denen das Glockenspiel die Melodie übernimmt.
Die Vielseitigkeit des Sounds, wie er Nilsen, Wennerberg und Augestad vorschwebte, war selbst für dieses ambitionierte Trio eine Überforderung. Da man explizit akustisch arbeiten wollte, benötigte man Unterstützung und fand sie bei drei Gastsängern (Kaja Haven, Endre Bjotveit, Erland Dahlen, letzter auch für Drums, Percussion und singende Säge) sowie den Multiinstrumentalisten Bjørn Charlie Dreyer und Lars Fredrik Frøisli. Der gemeinsam entwickelte Klang ist vielleicht die Überraschung dieses Sommers: frisch, neugierig, gut gelaunt und enthusiastisch.
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Michael Frost, 29.07.2009