Manche
Alben brauchen etwas länger. Man hört sie, legt sie erstmal
beiseite, kommt aber zielgenau immer wieder auf sie zurück. Denn
diese Musik hat das gewisse Etwas, eine Anziehungskraft, die magischen
Ursprungs sein muss, denn rational erklär- und greifbar ist sie
nicht. Oder doch ?
So
verschämt und bescheiden, wie Richard Warren alias "Echoboy"
auf dem Cover seines dritten Albums "Giraffe" zu Boden blickt
- als ob er sich nicht traute, seinem Publikum direkt mitzuteilen:
"Hört her, ich bin gut !" - so würde man einen
Robbie Williams nie zu Gesicht bekommen, und schon gar nicht in so
unprätenziösem Schwarz-Weiß. Nein, so sagt uns dieses
Cover-Foto, hört auf die Zwischentöne, lest zwischen den
Zeilen, beobachtet die Schatten, die meine Musik wirft, und entscheidet,
ob ihr mit meinen Visionen zwischen Synthie-Pop und Indie-Rock etwas
anfangen könnt.
Er
habe das Gefühl, sagt Echoboy - endlich einmal unbescheiden,
dass er sich weniger als in der Vergangenheit auf seine musikalischen
Einflüsse verlasse und davon überzeugt sei, dass ihm ein
wirklich innovatives Album gelungen sei. Daran ist nicht zu rütteln.
Spontan
drängt sich kein Vergleich auf - "Giraffe" steht mit
der ungewöhnlichen Mixtur aus Elektro-Sounds, Rock-Elementen
und textbetontem Songwriting allein in der Savanne der aktuellen Musikszene:
Zu eingängig für Radiohead, zu experimentell für U2,
zu leise für Depeche Mode, zu laut für David Gray, zu modern
für Oasis (die ihn 1999 der Legende nach in die Band holen wollten,
Glück für Warren, Pech für Oasis, dass es dazu nicht
kam) - jeder Vergleich hinkt.
Vielleicht
braucht man deshalb für Echoboy etwas länger: Das an verschiedenartigen
Facetten und Nuancen überreiche Album ist wie ein Berg, der erklommen
werden will. Man kann nicht einfach drüberhin spazieren. Es ist
eine Herausforderung, Alltags(hör)gewohnheiten müssen über
Bord geworfen werden, manchmal droht man zu scheitern, doch die Neugier
ist der Antrieb, ständig bieten sich neue und überraschende
Perspektiven.
Und
wenn man den Gipfel endlich erreicht hat, ist die Aussicht zwar immer
noch unbeschreiblich - aber unbeschreiblich eindrucksvoll.
©
Michael Frost, 15. März 2003