Brechts
Erben
Die Dresden Dolls machen den
V-Effekt wieder gesellschaftsfähig
Gast-Beitrag von Friederike Haupt
Bertolt
Brechts Galilei sagt: "Jeden Tag wird
etwas gefunden. Selbst die Hundertjährigen
lassen sich noch von den Jungen ins Ohr schreien,
was Neues entdeckt wurde. Da ist schon viel gefunden,
aber da ist mehr, was noch gefunden werden kann."
The Dresden Dolls sagen: "So ist es."
Bester Beweis sind The Dresden Dolls selbst. Als
Punkband ohne Gitarren, als Brecht-Verehrer ohne
Illusions-Aversion, als Schauspieler ohne Künstlichkeit
sind sie - Ohren auf, Hundertjährige! - eine
neue Art von Band. Amanda Palmer und Brian Viglione
aus Boston sind The Dresden Dolls, und so wie
sie heißen, klingen sie auch: Nach Vorkriegs-Chic,
Spieluhrmusik, Nachtclub-Entertainment, braunstichigen
Dresden-'45-Bildern und (jaaaa, da ist ein The
im Bandnamen) Rock'n'Roll.
Man
muss
sich
fragen,
ob
das
ernstzunehmen
ist.
Diese
Band,
diese
Musik.
Die
"Wir
sind
neu,
wir
sind
anders"-Verkündung
nervt,
sobald
sie
auch
nur
im
entferntesten
aufgesetzt
wird,
nur
noch,
und
mit
Damals-Verherrlichung
beeindrucken
zu
wollen,
ist
schon
ganz
anderen
Musikern
schlecht
bekommen.
Wenigstens
aber
die
Sache
mit
den
Instrumenten
ist
bei
den
Dresden
Dolls
definitiv
ernstzunehmen:
Percussion,
Klavier
und
Gesang,
das
war's.
Gewagt,
ist
doch
die
Gitarre
für
die
Rockmusik
gemeinhin,
was
der
Motor
für's
Auto,
der
Regisseur
für
den
Film,
der
Verfremdungs-Effekt
für's
Brechttheater
ist
-
unentbehrlich.
Umso
erstaunlicher,
dass
es
bei
dem
Ostküsten-Duo
auch
ohne
geht,
und
gar
nicht
mal
schlecht.
Man
höre
zum
Beispiel
Coin-Operated
Boy,
hierzulande
allein
schon
durch
die
Veröffentlichung
auf
dem
monatlichen
Spex-Sampler
zu
einiger
Bekanntheit
gelangt.
Eine
Mischung
aus
großer
Oper,
kleinem
Cabaret
und
Kinderlied
mit
einer
Melodie,
die
einem
tagelang
im
Ohr
bleibt.
Amanda
Palmer
flüstert,
schreit,
spricht,
murmelt,
haucht,
singt,
schluchzt
undsoweiter
in
sämtlichen
vorstellbaren
Nuancen,
und
wenn
man
sie
und
Brian
Viglione
im
Video
zum
Song
sieht
-
was
allerdings
aufgrund
der
Einstellung
der
Sendung
Fast
Forward
zum
Jahresende
bald
sehr
unwahrscheinlich
werden
dürfte,
besten
Dank,
Viacom!
-,
bekommt
der
Begriff
"Musik-Theater"
eine
ganz
neue
Bedeutung.
Kostümierung
ist
ein
Muss,
dauernde
Wechsel
zwischen
laut
und
leise,
wüst
und
zart
bestimmen
die
Strukturen,
die
Verunsicherung
des
Publikums
ist
kalkuliert
(ganz
im
Sinne
Brechts,
der
zum
Beispiel
für
die
Aufführung
seines
Stücks
Trommeln
in
der
Nacht
ein
Saaltransparent
mit
der
Aufschrift
"Glotzt
nicht
so
romantisch!"empfahl).
Was
für
Coin-Operated
Boy
gilt,
gilt
für
das
ganze
Album.
Zwar
sind
nicht
alle
Lieder
so
eingängig,
zwar
wirken
manche
Lieder
übertrieben
abgedreht
(so
etwa
Girl
Anachronism,
das
in
der
Bandinfo
anmaßender
Weise
in
seiner
Bedeutung
mit
Creep
von
Radiohead
gleichgesetzt
wird),
aber
schon
für
Titel
wie
Half
Jack
oder
The
Jeep
Song
-
wo
ausnahmsweise
eine
akustische
Gitarre
im
Spiel
ist
-
lohnt
sich
die
Anschaffung
des
Albums,
das
von
Martin
Bisi,
der
schon
mit
Sonic
Youth
(!)
zusammenarbeitete,
produziert
wurde.
The
Dresden
Dolls
nennen
ihre
Musik
"Brechtian
Punk
Cabaret",
und
wem
das
noch
suspekt
erscheint,
der
höre
auf
Galilei:
"Man
muss
mit
der
Zeit
gehen,
meine
Herren.
Nicht
an
den
Küsten
lang,
einmal
muss
man
ausfahren."