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Blues in seiner ursprünglichen Form


Sie hat eine Blues-Stimme der ganz besonderen Art: Sandy Dillon. Spätestens "Bad luck blues", es ist der vierte Song ihres Albums "Living in dreams", raubt dem Zuhörer den Atem. So schmerzverzerrt wimmernd, so heiser krächzend und verzweifelt hat man kaum je eine Frauenstimme gehört. P.J. Harvey, mit der Sandy Dillon mangels besserer Vergleiche oft in einem Zusammenhang genannt wird, ist nur ein schaler Abglanz dieser durch Mark und Bein dringenden Stimme. Janis Joplin, Patti Smith, Nina Simone - vielleicht Tom Waits oder die Quersumme aus allen, es ist nahezu unmöglich, diese Stimme einzugrenzen.

Dabei wirkt nichts, aber auch gar nichts an ihrer Interpretation aufgesetzt, künstlich oder gar pathetisch. Der Schmerz, so klingt es, kommt völlig unverstellt direkt aus der Seele, und die sie begleitenden Instrumente, fast ausschließlich Slidegitarre und Maultrommel, tun kaum mehr als eben nötig, um ihrer aufgewühlten Klage einen Rahmen zu geben, den man schließlich Blues-Song nennen kann.

Den Tod des eigenen Ehemanns sowie eine anschließende, ihr eigenes Leben bedrohende Krankheitsphase nennt die Plattenfirma, als könne man diesen tief sitzenden Ausdruck damit endgültig erklären. Fakt ist jdoch, dass Sandy Dillon ihre Lebenskrisen in ihrer Musik ver- oder aufarbeitet, bisweilen mit an Zynismus grenzendem schwarzen Humor, aber selbst im Moment größter Verzweiflung noch mit ungemein kraftvoller Energie.

Auf "Living in dreams" unterlässt Sandy Dillon alles, was den Blick auf den Blues verstellen könnte. Wo andere Kompromisse um der Eingängigkeit willen machen, die Grenzen zu Soul und R'n'B aufheben oder gar noch weiter Richtung Mainstream drängen, bleibt das Album klar, konsequent und puristisch.

Eine weiche, fast ein versöhnliche und hoffnungsvolle Linie zieht allein der das Album beschließende Titelsong, der fast weise auf das Erlebte zurückblickt: "We know everything // We know everything there is to know"

"Living in dreams" ist das erste Album von Sandy Dillon für das Bremer Label "Tradition & Moderne", ihre letzten Alben waren noch bei "One little Indian", dem Label, bei dem u.a. auch Björk veröffentlicht, erschienen. Doch ganz offenkundig benötigt Sandy Dillon für den Neubeginn die fast private, allein auf die Musik focussierte Atmosphäre abseits des internationalen Musik-"Markts". Den Kontakt nach Bremen fand die in Massachussetts aufgewachsene Amerikanerin bereits 2000, als sie an dem kleinen, aber äußerst angesehenen Festival "Women in (E)Motion" (dort reüssierten u.a. auch Martha Wainwright und Holly Cole) teilnahm.

"In (e)motion" ist sie auch jetzt noch, vielleicht sogar mehr denn je. "Living in dreams" jedenfalls kommt der ursprünglichen Bedeutung des Blues so nah wie kaum ein andere Veröffentlichung dieses Genres der letzten Zeit.

© Michael Frost, 22.06.2008

 


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