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Die wilden Zeiten
sind vorbei


Der Film dauert 110 Minuten, der Soundtrack 120. Nicht die einzige Seltsamkeit des Soundtracks zum Streifen von Hans Weingartner, der gerade mit einigem Erfolg in deutschen Kinos angelaufen ist.

Worum es darin geht, ist an sich schnell erzählt: Eine Gruppe jugendlicher Polit-Romantiker dringt in Berliner Villen ein, bringt das Ensemble der Designer-Möbel durcheinander und hinterlässt für die besserverdienende Bewohnerschaft Angst einflößende Botschaften wie: "Sie haben zu viel Geld" oder eben "Die fetten Jahre sind vorbei."

Die subversive Aktion gerät aus den Fugen, als einer der Hausherren die "Erziehungsberechtigten" (Selbstbezeichnung der Bande) in flagranti erwischt. Das Trio nimmt den neureichen Geschäftsmann als Geisel und versteckt sich mit ihm in einer abgelegenen Berghütte. Dort entpuppt sich der Klassenfeind als Alt-68er, der bald beginnt, die Haft zur Besinnung auf seine früheren Ideale zu nutzen ...

Regisseur Hans Weingartner erzählt seinen Film mit viel Verständnis für die Konflikte der jeweiligen Generation. Seine Sympathie liegt dabei eindeutig bei den drei jugendlichen Protagonisten und ihrer Rebellion gegen die Welt, in die sie hineinwachsen. "Rebellion", sagt er im Begleitheft zum Soundtrack, "gehört zum Rock wie Rock zur Rebellion." Und die Tatsache, dass der Soundtrack ganze zweiunddreißig Stücke beinhaltet, von denen gerade einmal sieben Titel im Film zu hören sind, rechtfertigt er folgendermaßen: "Ein Film, der das Lebensgefühl einer jungen Generation widerspiegelt, braucht einen passenden Soundtrack." Solchermaßen umgedeutet soll die Compilation also weniger den Film als vielmehr das Aufbegehren der Jugend illustrieren.

Die ausgewählte Musik ist in der Tat über jede Kritik erhaben. Aktuelle Acts von Franz Ferdinand über Slut, Sophia, Phoenix, The Notwist, Tocotronic und Mediengruppe Telekommander prägen derzeit die Independent-Szene. Angreifbar ist dagegen sicherlich die Aussage über das vermeintliche "Lebensgefühl" der "jungen Generation".

Denn im Unterschied zur 68er-Bewegung, die niemanden unbeeinflusst ließ und jeden erfasste - und sei es als ihr Gegner -, ist eine vergleichbare Situation, ein vergleichbares Lebensgefühl einer ganzen Generation heute überhaupt nicht erkennbar. Die fetten Jahre der Oberschicht sind keineswegs vorbei, die wilden Zeiten jugendlicher Rebellion dagegen schon.

Der Film wirft vor allem eine Frage auf: Wie groß ist eigentlich die gesellschaftliche Relevanz der dargestellten Auseinandersetzung zwischen aufbegehrenden Generationen und ihren Idealen - angesichts einer übersättigten, oft gelangweilten und tatenlosen Mehrheit der Jugendlichen?

Doch immerhin: Dem Soundtrack gelingt ein Gegenentwurf zur Apathie. Er zeigt, dass die aktuelle Musikszene sich (noch?) nicht in Gänze auf Casting-Shows und polyphone Klingeltöne reduzieren lässt. Die Kreativität junger Bands ist ungebrochen, und im Unterschied zum Film gelingt den Musikern der Schulterschluss von "Alt" und "Jung": Depeche Mode und Leonard Cohen fügen sich ebenso nahtlos in die junge Szene ein wie - jawoll: Freddie Quinns "Heimweh" ("Brennend heißer Wüstensand ..."), hier allerdings in einer gesanglich weitaus erträglicheren Coverversion von Element of Crime.

Richtig: Rock und Rebellion gehören weiterhin zusammen. Der Soundtrack zeigt, dass an guter Rockmusik kein Mangel besteht. Fehlen bloß noch die Rebellen.

 

"Die fetten Jahre sind vorbei" (Original Soundtrack)
Mute/EMI CDSTUMMTT3/7243863419 0 7

© Michael Frost, 04.12.2004

 


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