Easy
listening pur: das ist der erste Eindruck. Da bewegt sich
ein Youngster zwischen Jazz-Standards und Pop-Klassikern,
locker, leicht, gefällig, gut für den CD-Player
im Auto. Er
heißt Jamie Cullum, und dank einer aufwändigen
Promotionkampagne geht ihm der Ruf voraus, Großbritanniens
jüngster Shootingstar zu sein, der "youngest swinger
in town", dessen Goldkehle die Qualitäten von Sinatra,
Radiohead und Coldplay vereinige.
Die
"Jamie-Bio" des 23-Jährigen wird in Hochglanzbroschüren
vertrieben, in Kurzform: Papa, Hobbymusiker, erfolgreicher
Geschäftsmann, Sohn schlechter Klavierschüler, entdeckt
irgendwann Papas coole alte Jazz-LPs, mischt in der lokalen
Jazz-Szene von Wiltshire mit, schreibt sich an der Uni für
Film und Englische Literatur ein, nimmt privat sein erstes
Album auf, das zweite erscheint auf einem kleinen Label und
erntet Jubelkritiken. Nach seinem Auftritt in einer populären
Samstagabend-TV-Sendung wird der Junge zum Star, der Prince
of Wales bittet ihn als musikalischen Gast zum Geburtstag
der Königin.
Diese
JAMIE-Story ist nicht nur eine Bilderbuch-Karriere, es ist
eine Bildergeschichte. Denn das muß man ihm lassen:
Jamie Cullum sieht gut aus. Er könnte der Leonardo DiCaprio
der Popmusik werden, sein schönes Gesicht hat diesen
gewissen, frechen Kick.
Cullum
tritt in aufgerissener Jeans, ollem T-Shirt und knittriger
Lederjacke auf, oder in dunklem Anzug, blauen Turnschuhen,
offenem Hemdkragen und lose gebundenem, rosagemusterten Schlips.
Die Fotos zeigen einen Jungen, der Eleganz und Lässigkeit
bruchlos verbindet.
"TWENTYSOMETHING"
heißt das Album, das sich in England schon eine halbe
Million mal verkauft hat, und in der Tat: Dieser Junge hat
eine starke Stimme. Sie ist jugendlich-erotisch, klingt stets
etwas belegt und nasal, leicht rau und dunkel, gelegentlich
kratzig, und immer unangestrengt. Da klingt ein bischen der
coole Silberton von Sinatra durch, aber Jamie Cullum ist keine
Neuauflage des abgeklärten Edel-Swingers, seine Stimme
ist viel weniger kräftig und vor allem ist sie nicht
nur gepflegt, sondern mit einer leichten Schmutzspur gegen
allzu viel Bravheit immunisiert.
Mit
dem Album TWENTYSOMETHING setzt Cullum auf Mainstream, auf
ohrwürmige Melodien und rhythmisch bewegte Arrangements.
Er geht keine Risiken ein, er macht Musik für die Charts,
mehrere Titel haben er und sein Bruder Ben Cullum beigesteuert:
schlichte, klare Pop-Melodien.
Der
Cole-Porter-Klassiker I GET A KICK OUT OF YOU wird mit jugendlichem
Tempo genommen und rhythmisch leicht gegen den Strich gebürstet,
das melancholisch leise BLAME IT ON MY YOUTH duftet wie eine
Liebesnacht im Frühling. Dieser Song, in dem sich Jamie
Cullum am Piano begleitet, deutet an, dass er viel mehr kann
als hübsche Preziosen backen.
Dass
er viel mehr will, zeigen seine Versionen von Jimmi Hendrix´
WIND CRIES MARY und vor allem Jeff Buckleys LOVER,YOU SHOULD
HAVE COME OVER. Jamie Cullum hat einen der schönsten
Songs dieses früh gestorbenen Romantikers unter den amerikanischen
Songwritern der 90-er Jahre ausgegraben. Er rettet ihn damit
vor dem Vergessen und er singt ihn mit soviel Seele in der
Stimme, als wolle er sagen: "ich bin nicht nur der kleine
Junge, der mit Papas alten Jazznummern kokettiert und viel
Wind um den swingenden Kick in seiner Stimme macht".
Mit einem Wort: Aus dem Jungen kann was werden.
©
Hans Happel, 8. April 2004