Vielleicht
bleibt es ein Rätsel in der Biografie von Elvis Costello, ob es
denn tatsächlich des Umwegs über Punk, Wave und Pop wirklich
bedurfte, um schließlich reif für diese eine Aufnahme zu
sein, die retrospektiv sicherlich als die wichtigste seiner Karriere
gelten wird: "The Juliet Letters", die Vertonung von Briefen,
die Leser aus aller Welt angeblich an Shakespeares Dramafigur Julia
gerichtet hatten. Ein italienischer Professor, der es sich zur Passion
machte, viele der Briefe zu beantworten, inspirierte Costello zu seiner
kuriosen Idee, die Briefe einer imaginären Figur, sogar, wie er
lachend betont, einer "toten imaginären Figur",
zu vertonen.
Kongeniale
Unterstützung fand er in dem aus Manchester stammenden Brodsky
Quartet, das inzwischen eine der gefeiertsten Kammermusikgruppen überhaupt
ist. Einen Namen machte es sich nicht nur durch die Zusammenarbeit
mit Costello, sondern unter anderem auch durch gemeinsame Konzerte
mit Björk in London und seine großartigen Interpretationen
klassischer Kompositionen.
Die
Aufnahme des ungewöhnlichen Projekts, die jetzt, vierzehn Jahre
nach ihrer Entstehung, erstmals als DVD vorliegt, zeigt die ganze
Klasse der Beteiligten. In kleinen Interviewausschnitten zwischen
den Liedern zeigt sich das Brodsky Quartet selbst überrascht,
wie schnell Costellos Gesang mit ihren Instrumenten verschmolz. Nicht
ein Quartett und ein Sänger habe es gegeben, sondern ein Quintett
mit einem Vokalisten: Michael Thomas, Ian Belton, Paul Cassidy, Jaqueline
Thomas - und eben Elvis Costello.
Sie
sind fünf brillante Solisten, deren besondere Kunst es ist, immer
wieder zum Ensemble zu verschmelzen und dabei doch den eigenen Klang,
den eigenen Ton erkennbar zu lassen und damit die Identität zu
wahren. Mal folgt man in Gedanken der Violine, mal dem Cello, mal
dem lyrischen Gesang und ist immer gleichermaßen fasziniert
von dem Feingefühl, mit dem die Juliet Letters vorgetragen werden.
Selten
zuvor ist ein Popmusiker, zudem ein aus der Computermusik stammender,
so weit und dabei so glaubwürdig in die Gefilde der Klassik eingedrungen,
und selten zuvor räumte ein klassisches Ensemble einem Popmusiker
so bereitwillig einen gleichberechtigten Platz in seiner Mitte ein.
Inzwischen
weiß man, dass "The Juliet Letters" nur der Auftakt
zu einer umfassenden Neuorientierung Costellos war, in deren Verlauf
er sich nicht nur mit Pop und Klassik, sondern auch mit Jazz, Filmmusik
und verschiedenen anderen Stilen und Formaten befasste.
Das
Brodsky Quartet seinerseits nutzte die Kooperation für einen
ausgiebigeren Ausflug in die Welt der Popmusik und begleitete Costello
einige Jahre nach "The Juliet Letters" bei einem Konzert
im Rahmen der legendären BBC-Show "Later ... " mit
Jools Holland: "A case for song". Costello zeigte an diesem
Abend das ganze Spektrum seiner Musik zwischen Pop, Klassik und Jazz,
begleitet zusätzlich von seiner Band "The Attractions"
und dem "White City Septet".
Beide
Projekte sind jetzt erstmals als DVD erschienen, zum Teil mit zusätzlichen
Songs und Bonusmaterial, das auf der Originalveröffentlichung
als VHS nicht enthalten war.
©
Michael Frost, 20.09.2007