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Lebenstraum erfüllt


"Razmataz" sei ein Traum, den er seit dreißig Jahren träume, sagt Paolo Conte über sein neuestes Werk, eine Show, die den Geist der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts beschwört. Seit jeher ist er fasziniert von der kulturellen Blüte jener kurzen Jahre zwischen den beiden Weltkriegen, wie sie in den europäischen Metropolen entstanden war. Das Interesse für Neues, Überraschendes, Exotisches sei enorm gewesen: "In den 20er Jahren erfuhr die Kunst eine revolutionäre Kraft, die sie seitdem nicht wieder erreichte: Die Erfindung des Kinos, des Jazz und der atonalen Musik, die Avantgarde-Bewegungen der Maler, vom Kubismus zu Dada und zum Futurismus."

In Form einer Erzählung beschreibt "Razmataz" die erste Begegnung der alten Welt mit mit der jungen schwarzen Musik. Conte: "Und dieses Zusammentreffen geschieht in der Stadt, die wie keine andere geeignet war, die Rolle der Mittlerin zwischen den Kulturen zu übernehmen: Paris."

In Razmataz treffen die mehr oder weniger "typischen" europäische Charaktere, die reiche Bourgeoisie, der expessionstische Künstler aus Berlin, der italienische Lebemann, der große Pariser Modedesigner, der englische Sportler, die Kriminalschriftstellerin auf eine Musical-Gruppe farbiger US-Amerikaner, die in Paris auftritt - und schon mischen sich Chansons und lyrische Canzoni, sinfonische Suiten, spanische Tänze wie aus Bizets "Carmen", Charleston und Cabaret mit den Jazz- und Blues-Klängen der neuen Welt.

Die Revue benötigt einen enormen personellen Aufwand: Es gibt einen fünfsprachigen Erzähler, dreisprachige Musik, die sowohl live Teil der Handlung ist als auch Hintergrundmusik, zweisprachige Dialoge (die "europäischen" Darteller sprechen und singen Französisch, die "Amerikaner" Englisch) und nicht zuletzt gibt es unfassbare 1.800 Gemälde (Öl, Pastell etc.), alle von Paolo Conte während der letzten dreißig Jahre angefertigt, für die Bühnenprojektion gescannt und digitalisiert. Mit den Bildern wird die Handlung erzählt bzw. der athmosphärische Rahmen der Bühnendarstellung geschaffen.

Die Einzelteile von Musik, Malerei Literatur und Kino fügen "Razmataz" zu einem multimedialen Musical der besonderen Art, ein "illustriertes Hörspiel", wie Conte es beschreibt, "oder umgekehrt ein vertontes Storyboard".

Die CD zu "Razmataz" bietet zwangsläufig nur einen Ausschnitt des 140-minütigen Bühnenprogramms. Von den dreißig Stücken, die Conte für das Musical schrieb, fanden nur 18 den Weg auf das Album, die allerdings weit mehr als nur einen kleinen Einblick in das opulente Werk bieten. Den visuellen Eindruck soll eine DVD vermitteln, deren Veröffentlichung für Januar 2000 angekündigt war.

Klar, dass Paolo Conte mit "Razmataz" nicht auf die gewohnte Tour gehen wird - "Razmataz" hat die technischen Ausmaße eines Zirkusses und einen ebenso großen personellen Aufwand. Nicht nur die gewohnten Begleitmusiker, darunter auch die großartige Ginger Brew, deren Stimme das Publikum schon während der letzten Tour Paolo Contes begeisterte (dokumentiert auch auf der Doppel-CD "Tournée 2"), wurden in die Produktion eingebunden, sondern auch Opernsänger/innen, ein Streiquartett, ein Klavier-Duo, sowie die Philharmonischen bzw. Sinfonie-Orchester von Turin und Pesaro.

Nach der Uraufführung von "Razmataz" in der Londoner Barbican Hall am 17./18. November wurde das Musical an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden in Mailand und Rom gezeigt. Jetzt, im Februar 2001, wird die Produktion in den USA und Kanada gezeigt. Allein das Zustandekommen dieser Tour und das damit dokumentierte Interesse auch in Nordamerika markiert bereits einen glanzvollen Höhepunkt in der Karriere von Paolo Conte, der schon immer mehr als "nur" ein Cantautore war - jetzt ist er ein international gefeierter Musical-Komponist.

AG / 03. Februar 2000