Der
Auftakt ist Programm: Mit wieviel Energie sich Ravi Coltrane
ins erste Stück seiner neuen CD hineinwirft, - "26-2",
ein Titel seines Vaters John -, das zeigt den jungen wilden
und doch strukturierten Musiker, der eine eigene Form mit
der Revitalisierung eines Standards verbindet.
Ravi
Coltrane, Jahrgang 1965, gehört zur Generation jener
Jazz-Musiker, die den Jazz neu beatmen, indem sie ihn aus
der Ecke des Selbstgefälligen herausholen und aus dem
Geist der Väter-Generation an einer Fusion zwischen den
50-er Jahren und der Gegenwart arbeiten. Was Ravi Coltrane
auf "Mad 6" in zwei verschiedenen Formationen bietet,
ist das Aufgreifen und souveräne Neueinspielen von Standards
(John Coltrane, Thelonious Monk, Charles Mingus), die ihm
Halt geben, um dazwischen einige Kompositionen zu schieben.
Alle
Stücke dieses Albums sind an zwei Tagen (im Mai 2002)
aufgenommen worden, und sie wirken so kräftig, so impulsiv
und emotional wie eine Live-Aufnahme. Bei beiden Besetzungen
ist der Schlagzeuger Steve Hess mit von der Partie, er unterlegt
die 10 Titel mit einem hochdifferenzierten und wild- drängenden
Percussion-Geflecht. Dieser treibende Beat macht aus dem cool
verspielten "´Round Midnight" der 50-er Jahre
ein qirliges nervöses Nachtstück, in dem Ravi Coltrane
das berühmte Saxophonsolo seines Vaters aufgreift und
in eine unruhige neue Zeit versetzt.
Das
zeigt, wo dieser Musiker heute steht: Lyrisch und geradezu
gelassen geht er mit Charles Mingus` bluesigem "Self
Portrait In Three Colors" um und - einzigartiger Höhepunkt
des Albums - mit der weichen, warmen Melancholie in "Ask
Me Now" von Theolonious Monk. Sein herzerweichend emotionales
Saxophonsolo zur diskreten Bassbegleitung von James Genus,
was für ein starker Auftakt.
So
sicher, wie Ravi Coltrane mit dem Material der Väter
umgeht, so unsicher wirkt er als Komponist und Interpret in
eigener Sache: Seine titelgebende Eigenkomposition "The
Mad 6" bleibt ein zerklüftetes Melodiefragment,
wie der wiederholte Ansatz und die Suche nach einem Stück,
das irgendwann kommen wird, aber hier nach einer Minute und
19 Sekunden schon vorbei ist.
"Ein
Tondokument" nennt der Pressetext dieses Album, und damit
ist angedeutet, dass Ravi Coltrane sich in Bewegung befindet,
"Between the Lines", so lautet treffend der Titel
einer Eigenkomposition: Ravi Coltrane ist mit 37 Jahren längst
ein reifer Musiker. Seit 1991 spielt in vielfältigen
Formationen mit den Größen des Jazz zusammen, und
auf "Mad 6" zeigt er eindrucksvoll, dass er nach
einer eigenen Sprache sucht, die nicht den Weg des geringsten
Widerstands geht und in modischen Pop-Fusionen versandet.
Im
Gegenteil: Zwei Kompositionen des Vaters ("26-2"
und "Fifth House") umrahmen das Album wie ein Gerüst,
das der Sohn neu aufbaut - mit einem weichen, sanften und
gelegentlich aufgerauhten Saxophonton, der immer leicht distanziert
wirkt, denn dem tiefreligiösen Gestus John Coltranes
will Ravi Coltrane offenbar nicht folgen. Nein, dieser Sohn
ist kein Epigone, er zeigt, was ihm die Meister bedeuten um
von dort und mit ihrer Inspiration zu einer neuen Sprache
des Free Jazz zu gelangen. Dabei helfen ihm zwei eigenwillige
Musikerpaare, alle gleichgewichtige Partner Coltranes: Der
eher lyrisch orientierte Pianist George Colligan mit Darryl
Hall am Bass und der Pianist Andy Milne mit James Genus am
Bass.
Andy
Milne, im Jahr 2000 von Kritikern und Lesern der Zeitschrift
"Jazz Report" zum Keyboarder des Jahres gewählt,
spielt in der schönsten Aufnahme des Albums - "Ask
me Now" - das Piano, wunderbar verwoben mit dem vom Saxophon
vorgegeben Thema.
Coltrane
ist ein Virtuose auf seinem Instrument und deshalb neigt er
dazu, bei schnellen Tempi perlende Figuren fast beiläufig
hinzulegen. Dabei droht er sich in seinen vier eigenen Stücken
ins Ornamentale zu verrennen.
Als
Komponist hat er seinen Stil noch nicht gefunden, aber dass
er auf dem Weg ist, zeigt diese CD, die eine Reihe von "Sternminuten"
enthält, wahrhaftige Glanznummern unter den Standard-Einspielungen.
Diese "Mad 6", diese Musikercrew spricht in ihren
hochkomplexen Formen und drängenden Rhythmen von Aufbruch
und neuer Energie.
Irgendwann, so wünschen wir uns, werden die Söhne
nicht mehr "between the lines" musizieren, sondern
mit dem Segen und aus Respekt vor den Göttern des Jazz
neue Horizonte erforschen.