Es
kommt nicht alle Tage vor, dass die Mathematik Künstler zu einem
Albumtitel inspiriert: "X&Y" heißt das neue Werk
der englischen Popband "Coldplay". Mit diesen beiden Buchstaben
werden in der Mathematik die Unbekannten belegt, die nicht sofort
greifbar sind. "Für uns symbolisiert der Titel all die offenen
Fragen des Lebens, auf die es einfach keine Antworten gibt",
wird Chris Martin im Info seiner Plattenfirma zitiert.
Ein
Titel, der gut zu "Coldplay" passt, zählt doch die
Gruppe seit Beginn ihrer Karriere zur Fraktion der Dichter und Denker,
die sich feinsinnige Poesie und musikalische Kreativität gepaart
mit sozialem Bewusstsein auf ihre künstlerischen Fahnen geschrieben
haben.
Sänger
und Frontmann Chris Martin outet sich auf dem neuesten Werk erneut
als spiritueller Denker, Grübler und Zweifler, der an das Gute
im Menschen glaubt, auch wenn die Realität oftmals anders aussieht.
Er zählt sie auf die Befürchtungen, die ihn plagen, um dann
am Ende des Songs "What If - was wäre wenn" dem Zuhörer
eine Botschaft der Hoffnung mit auf seinen weiteren Lebensweg zu geben:
"You know that darkness always turns into light - Dunkelheit
kehrt sich immer zu Licht."
Zu
einem einzigen großen Bekenntnis an die Liebe ist der Song "A
Message" geworden, der mit seinem lieblichen Ton sofort bezirzt.
Allein schon die erste Zeile spricht Bände: "My Song Is
Love". Sollte es sich bei der Weise etwa um eine überschwängliche
Liebeserklärung an seine Frau, die Schauspielerin Gwyneth Paltrow
handeln angesichts der Leidenschaft, die aus jeder Zeile lugt?
"Fix You" mit seinem feierlichen Kirchenorgelsound und dem
choralen Schluss ist einer der schönsten Pop-Gospelsongs seit
Blurs "Tender". Auch hier ist die hoffnungsfrohe, spirituelle
Botschaft nicht zu überhören, wenn Martin von den Lichtern
singt, die einen nach Hause führen - "The lights that guide
you home". Bemerkenswert auch der akustische Blues-Folk-Song
"Til Kingdom Come", der ursprünglich für niemand
geringerem als den verstorbenen Johnny Cash geschrieben war.
Die
musikalischen Tangenten bei "Coldplay" haben sich nicht
groß verschoben. Das Einmaleins des Gitarrenpop beherrschen
sie noch immer aus dem FF, so wie auf ihren beiden vorherigen Top-Alben
"Parachutes" und "A Rush Of Blood To The Head".
Hie und da mal ein bisschen euphorischer und rockiger, ein paar Takte
Kraftwerk ("Computerliebe") als Grundlage für den Song
"Talk", der besagte Country-Song als Zugabe und ein bisschen
Gospelfeeling - große Verschiebungen auf den X- und Y-Achsen
haben sich nicht ergeben.
Obgleich
"Coldplay" die Messlatte mit Klassikern wie "Everything's
Not Lost" und "Yellow" enorm hoch gelegt haben, so
enthält doch auch das neue Werk "X&Y" Songs, die
sich hören lassen können. In einem dpa-Interview führte
Gitarrist Johnny Buckland die gute Qualität des neuen Werks auf
die zuweilen quälenden Momente im Schaffensprozess der Gruppe
zurück: "Das Schlüsselwort, das letztendlich für
uns zu einem Ergebnis geführt hat, mit dem alle mehr als zufrieden
sind, heißt Spannung. Wir haben uns zu guter letzt buchstäblich
im Studio eingesperrt, gemeinsam geredet, gestritten und getrunken.
Langsam spürten wir alle wieder diese Spannung, die immer greifbar
war, wenn wir wirklich gute Songs aufnahmen. Schätzungsweise
liegt die in der Tatsache begründet, dass wir vier völlig
unterschiedliche Typen sind, deren Pole bei intensiver Zusammenarbeit
aufeinander prallen und großartige Songs zum Resultat haben."
Stephan Stöckel.
"Coldplay: x&y" (Parlophone/EMI 311 2802)
ist ein Gast-Beitrag von Stephan Stöckel.
© Stephan Stöckel, Juli 2005
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