Kennen
Sie noch die alte "Was-passiert-dann-Maschine" aus der Sesamstraße,
diesen nur scheinbar vorhersehbaren und automatisierten Mechanismus
von Abläufen, der regelmäßig durch die schrägen
Sesamstraßenbewohner torpediert wurde? In Anlehnung daran empfangen
DJ Karmil, Burt Ford, Lolita Moon und Neneh Cherry Besucher ihrer Website
mit folgender Frage: "What happens when you mix a house-bound,
turntablist/classical guitarist, an infamous record producer; a genre-defining
superstar and a teenager with a voice beyond her years?"
Vermutlich gibt es wohl nur einen Ort, an dem diese explosive Mixtur
erfolgreich aufeinander trifft: im Zirkus - und ebenso nannte das Quartett
sein Bandprojekt: cirKus.
Gemeinsam
zog es sie nach Stockholm. Von dort stammt das prominenteste cirKus-Gesicht,
Neneh Cherry, die sich nach einem viel versprechenden Karrierestart,
einer ganz eigenen Mischung aus Hiphop, Soul und Pop ("Man")
und einem All-Time-Welthit an der Seite Youssou N'Dours ("7 seconds")
lange aus der ersten Reihe der Rockliga zurückgezogen hatte.
Weniger bekannt, aber nicht zu unterschätzen ist auch ihr Einfluss
auf die Entwicklung des Triphop, den sie mit CirKus jetzt energisch
weiter entwickelt. Ihr Mann Cameron McVey war Produzent der ersten
Alben von Massive Attack und Portishead, den Pionieren des nach der
Bandherkunft benannten "Bristol Sound", in dem Hiphop, Jazz,
Soul und Pop zusammengeführt wurden.
"Laylow"
feierte somit nicht nur die Rückkehr von Neneh Cherry auf die
internationale Bühne, sondern gewissermaßen auch die Fortsetzung
der frühen Alben von Massive Attack, also vor allem "Blue
lines" und "Protection". CirKus setzen an gleicher
Stelle an: die Beats sind dumpf, die Bässe wummern, der Gesang
wechselt zwischen dem zurückhaltenden Burt Ford, der hellen Stimme
der jugendlichen Lolita Moon und dem abgeklärten Soul von Neneh
Cherry. Scratches, Breakbeats und unerwartete Dissonanzen wie Kinderchor
oder Mariachibläser brechen die coole Ordnung von "Laylow"
immer wieder auf - wie einst die anarchischen Monster in der Sesamstraße
die erwähnte Maschine aushebelten.
Das
eigensinnige Quartett erbringt zudem den Nachweis, dass der Triphop
- obgleich ein Kind der 90er Jahre - keineswegs von gestern ist, zumal
es seither keine wirklich innovativen Strömungen mehr gegeben
hat, sondern meist Revivals von Bewährtem: Britpop, Disco, Indiefolk.
Inzwischen
haben CirKus noch mal nach-, bzw. tiefer gelegt: "Laylow"
wurde in variierter Form nochmals aufgenommen und als "Laylower"
neu veröffentlicht. Eigentlich ist es das bessere Album, denn
die charakteristischen Elemente des Bandsounds, die Bässe, die
Hiphopelemente aus Scratches und Sprechgesang wurden darauf nochmals
deutlich in den Vordergrund gehoben, die tranceartige Clubatmosphäre
verstärkt, der Sound insgesamt voluminöser und konsequenter,
und selbst mit den im Triphop eigentlich verpönten Rockgitarren
wartet die tiefer gelegte Version des Originalalbums auf und wirkt
dennoch reduzierter und zugespitzter.
So
steigt bereits die Hoffnung auf die weitere Arbeit dieses ungewöhnlichen
Kollektivs, und man wünschte sich, dass CirKus nur am Beginn
einer Wiederentdeckung des Triphop stehen - und dass nach diesem fulminanten
Auftakt auch die Matadoren des Genres bald wieder in den Wettbewerb
eintreten. Doch Cherry & Co. haben die Latte ziemlich hoch gelegt.
©
Michael Frost, 18.11.2007