Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Der richtige Musiker
zur richtigen Zeit


Was ist da bloß passiert? Auf dem Coverfoto zu seinem gemeinsamen Album mit Julia Hülsmann schien Roger Cicero eher zufällig ins Bild gerückt zu sein, auch die PR-Fotos zeigten ihn eher im Hintergrund. Seit "Männersachen", seinem sensationellen Solo-Debüt vom vergangenen Jahr, scheinen die Verhältnisse jedoch Kopf zu stehen.

Roger Cicero, im Herzen noch immer dem Jazz verbunden, hatte ein Swing-Album aufgenommen. Wohlgemerkt: Swing mit neuen Songs und deutschen Texten, nicht etwa das x-te Coveralbum amerikanischer Standards. Was dann geschah, ist selbst durch ausgeklügelste PR-Kampagnen nicht zu erreichen: Statt ein auskömmliches Dasein als Geheimtipp der Kleinkunstbühnen und Off-Theater zu fristen, eroberte Roger Cicero nahezu mühelos die Spitze der Albumcharts, wurde mit Platin dekoriert, für die größten Konzerthallen des Landes gebucht und gewann schließlich noch den "Echo" als bester Sänger des Jahres.

Als er kurz zuvor auch noch den Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2007 gewann, zeigte sich zweierlei: Ciceros großartiges Talent als Entertainer einerseits, andererseits aber, dass Medien und Musikbranche ihr erwachsenes Publikum noch immer unterschätzen. Denn jenseits der Castingband-Fans im Teenie-Alter hat sich längst eine stetig wachsende Gemeinde von Musikfans jenseits der 30 etabliert, deren Ansprüche sowohl von der Musikindustrie als auch dem Fernsehen bislang geradezu sträflich vernachlässigt wurden.

So wird die Erfolgswelle, auf der Roger Cicero zurzeit reitet, erklärlich. Und für diejenigen, die das Phänomen Cicero noch immer nicht verstanden haben, legt er jetzt, im Umfeld seines Grand Prix-Auftritts günstig platziert, eine Live-DVD nach, die zu den besten deutschen Musik-DVDs überhaupt gehören dürfte. Denn auf "Männersachen live" geht vom ersten Moment an die Post ab.

Begleitet von einer vor Spielfreude sprühenden Bigband (unter der Leitung von Pianist Lutz Krajenski) swingt sich Cicero, der Vollblutentertainer, durch sein Repertoire, druckvoll und energisch, voller Witz und Tempo, in einem mitreißendem Wechselspiel zwischen Band, Sänger und dem Frankfurter Publikum (aufgenommen wurde das Konzert erst im Februar 2007 an einem von insgesamt drei ausverkauften Abenden in der Alten Oper).

Und wenn er sich dann doch einmal zu einem Coversong entschließt, dann sucht er sie in fremden Gefilden, etwa im deutschsprachigen Pop/Rock. Auf "Männersachen live" sind dies "Tausendmal berührt" von Klaus Lage, und, ein besonderer Moment und berührende Hommage: "König von Deutschland" des von Cicero spürbar verehrten Songschreibers Rio Reiser. Er aktualisiert den Text behutsam, verlegt den Popsong jedoch in den Jazz und gibt ihm so zurück, was andere Adaptionen ihm nahmen: Frechheit, Biss und politischen Hintersinn ebenso wie Würde und Musikalität.

Mit derselben Souveränität und seiner "faszinierend beweglichen Stimme" (Hans Happel in seiner CD-Kritik zum Cicero/Hülsmann-Album "Good morning midnight") stellt Cicero seine "Männersachen" live vor. Charme, Witz und Selbstironie profilieren ihn zudem als Prototyp einer neuen Männerrolle, die der weiblichen Emanzipation Rechnung trägt, Gleichberechtigung lebt, aber auf die erotisierende Spannung im Geschlechterverhältnis nicht verzichten will.

Für die deutsche Musiklandschaft ist Roger Cicero der richtige Musiker zur richtigen Zeit. Zwischen Krautrock, deutschem Hiphop und jungen Berliner Helden füllt er eine Lücke, deren Größe man erst jetzt begreift, wo sie geschlossen ist. Und zu welchen Höhenflügen er fähig ist, darf man gespannt erwarten. Die nächste Etappe ist nun Helsinki.

Es ist zwar ein ungeschriebenen Gesetz des Eurovison Song Contests, wonach das beste Lied praktisch niemals gewinnt. Demnach hätte auch Roger Cicero in diesem Jahr keine Chance. Doch er hält mit einer anderen Regel dagegen: Murphys Gesetz. Danach fällt das Brot, aller rechnerischen Wahrscheinlichkeit zum Trotz, immer auf die Marmeladenseite. Vielleicht gelingt es Cicero in Helsinki ja ebenso, die Gesetze der Statistik aus den Angeln zu heben. Und selbst wenn nicht: Auf seinem Karriereweg ist dieser Mann nicht mehr aufzuhalten.

© Michael Frost, 08.04.2007

Hinweis: "Männersachen Live" wurde als Doppel-DVD
veröffentlicht. DVD 2 enthält neben Backstageaufnahmen
u.a. die Videoclips zu "Zieh die Schuhe aus"
und "Frauen regier'n die Welt."

 


[Archiv] [Up]