Sie sind meist wunderbar anzuhören, doch gelegentlich schwer auseinander zu halten: junge französische Sängerinnen, die mit zurückgenommener Engelsstimme leise Weisen vortragen, oft von nicht viel mehr als einer Gitarre begleitet. Auch Jeanne Cherhal könnte man in diese Gruppe einreihen - allerdings nur einen kurzen Moment lang.
Dann nämlich entpuppt sich "L'eau" als ein beständiger Fluss erfrischender Ideen (Pressetext: "ohne zu plätschern"), die den Zuhörer auf einer Welle überwiegend fröhlicher Pop-Harmonien tragen, bisweilen aber sogar das Tempo druckvoller Poprock-Songs erreichen ("La peau sur les os"). In diesen Momenten wird aus der zarten Chanson-Stimme, eine richtige Röhre - in dieser Ausdrucks- und Lautstärke ist Jeanne Cherhal auffallend stark.
Die Wandlungsfähigkeit, die sie auf "L'eau" erkennen lässt, ist einigermaßen ungewöhnlich, offenbar auch für sie selbst. "Ich habe das Gefühl", sagt sie, "dass das Album im Vergleich zum Vorgänger 'Douze fois par ans' sehr viel musikalischer ist."
So erfährt jedes der dreizehn Stücke des Albums eine eigene Klangfärbung. Die Klammer bilden Popchansons wie der Opener "Canicule" und "Merci", letzteres eine Gitarrenballade, die an die ersten, noch ausschließlich französischsprachigen Alben der Songwriterin Keren Ann erinnern.
Doch zwischen diesen verhaltenen Tönen geht es richtig zur Sache; man taucht ein in ein wahres Wechselbad: Es gibt sowohl Tiefgründiges, an die Experimentierlust einer Emilie Simon erinnernde Sounds ("Tu m'attires"), die bereits erwähnten Rock-Gitarren in "La peau sur les os", Vaudeville-Theater ("Une tonne"), mehrstimmigen Folk im Stil des flämischen Frauen-Trios Laïs ("L'eau") - und zum Abschluss einen Hauch von psychedelischer Atmosphäre ("Petite soupe").
Die aus Nantes stammende Sängerin, deren Lebensgefährte und Kollege Albin de la Simone ihr Album produzierte, zählt Kolleginnen wie P.J. Harvey und Tori Amos zu ihren größten Vorbildern. Gerade Amos' Klavierspiel hat es ihr erkennbar angetan: Titeln wie "On dirait que c'est normal" hört man den Einfluss besonders deutlich an. Doch die internationale Orientierung tut nicht nur "L'eau" außerordentlich gut, sondern der gesamten französischen Musikszene, in der Jeanne Cherhal inzwischen zu einem der hoffnungsvollsten Talente zählt.
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Michael Frost, 23.03.2008