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Das Dilemma des Genies


Wer die verfilmte Biografie "Ray" im Kino gesehen hat, wird vermutlich den Eindruck gewonnen haben, dass Ray Charles zeitlebens so etwas wie der Joschka Fischer des Blues gewesen sein muss: Genial auf seine Art, von einer leidenschaftlichen Besessenheit, die man leicht mit Arroganz verwechseln könnte, aber niemand, mit dem es sich einfach zusammen leben ließe. Denn alles ordnete er seiner Musik unter: Familie, Freunde, Ehefrau und Kind.

Umso erstaunlicher also die Erkenntnis, dass Ray Charles sich im Laufe seiner Karriere immer wieder auf Duett-Aufnahmen einließ. Fischer hingegen hat eine Co-Spitzenkandidatur immer nach Kräften zu verhindern gewusst. Ein Programm wie "Genius & Friends" wird es von ihm deshalb wohl nie geben. Von Ray Charles dagegen schon. So dient die von Phil Ramone produzierte Compilation mit 14 Duetts vor allem der Vervollständigung seiner umfangreichen Werk-Biografie.

"Genius & Friends" offenbart aber gleichzeitig das Dilemma des Genies. Die meisten der Songs werden nämlich retrospektiv sicher nicht zu den stärksten seiner Aufnahmen gerechnet werden. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit anderen führt nur bedingt zu genialen Ergebnissen, es sei denn, der Duettpartner ist ähnlich genial. Und das trifft selbst auf große Namen der Branche keineswegs zu.

Mary J. Blige immerhin entlockt Ray Charles eine schöne Soul-Ballade, doch Chris Isaak vergeigt gleich seinen Part in "You are my sunshine". Später zwingt Schmusepopper George Michael den Großmeister zu leisen Säuseleien ("Blame it on the sun"). Umgekehrt wäre es spannender gewesen: gern hätte man einmal erfahren, ob Michael über genügend Blues in der Stimme verfügt, um gegen Ray Charles bestehen zu können.

Dass Ruben Studdard & The Harlem Gospel Singers nicht überzeugen können, ist ihnen selbst allerdings nicht anzulasten, sondern der Wahl des gemeinsamen Songs. An einer Coverversion von John Lennons Jahrhundertsong "Imagine" ist bislang noch jeder gescheitert.

So reduziert sich die Begeisterung auf einige wenige Songs, doch die haben es dann wahrhaft in sich: Neben dem fantastischen "Big bad love" (mit Diana Ross) ist es die junge Leela James, deren kraftvoll-dunkler Soul herausragt, und ihr gemeinsames "Compared to what" ist eines der wenigen Duette, das so ist, wie es sein sollte: mitreißend, sich gegenseitig anheizend und zu Gesangsbestleistungen anspornend.

So bleibt am Ende (von die Regel bestätigenden Ausnahmen einmal abgesehen) die Erkenntnis, dass manche Künstler wohl wirklich dann am besten sind, wenn sie die Bühne für sich allein haben. Sie zur Teamfähigkeit (und damit letztlich zur Demokratie) zu zwingen würde ihre Genialität unzulässig einschränken. Spätestens hier wird die Notwendigkeit unterschiedlicher Maßstäbe deutlich: Künstler sollen einzigartig sein - Politiker müssen ersetzbar sein. Auch die Genialen.

Fischer hat das verstanden, und Ray Charles auch. Die Duetteinspielungen lagen seit 1998 unter Verschluss. Erst kurz vor seinem Tod gab er sie frei.

© Michael Frost, 23.09.2005

Tracklist

01 Ray Charles with Angie Stone - All I Want To Do
02 Ray Charles with Chris Isaak - You Are My Sunshine
03 Ray Charles with Mary J. Blige - It All Goes By So Fast
04 Ray Charles with Gladys Knight - You Were There
05 Ray Charles with Ruben Studdard & The Harlem Gospel Singers - Imagine
06 Ray Charles with Leela James - Compared To What
07 Ray Charles with Diana Ross - Big Bad Love
08 Ray Charles with Idina Menzel - I Will Be There
09 Ray Charles with George Michael - Blame It On The Sun
10 Ray Charles with John Legend - Touch
11 Ray Charles with Patti LaBelle & The Andrae Crouch Singers - Shout
12 Ray Charles with Laura Pausini - Surrender To Love
13 Ray Charles with Willie Nelson - Busted
14 Ray Charles with Alicia Keys - America The Beautiful

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