Die
meisten Konzerte folgen einem festen dramaturgischen Konzept. Langsame
und schnelle Passagen wechseln einander ab, kontrollieren die Stimmung
und verschaffen sowohl dem Publikum als auch den Musikern auf der Bühne
gelegentliche Verschnaufpausen.
Manu Chao hält von diesen Regeln offenkundig nicht sehr viel, oder
er braucht keine Ruhepausen, also gönnt er sie auch dem Publikum
nicht:
Wie
zu seligen Mano Negra-Zeiten rockt er gemeinsam mit seinen Begleitern,
dem "Radio Bemba Sound System", von der ersten bis zur allerletzten
Sekunden durch sein Live-Programm, pausenlos. Das Tempo ist atemberaubend,
die Rhythmen sind hastend und hypnotisch - vom Ethno-Punk zum Ethno-Techno.
Live holt Manu Chao alle Lebendigkeit nach, die seine Studioalben
streckenweise vermissen ließen.
Das
nach seiner Band benannte Live-Album, mit dem jetzt das Konzertprogramm
seiner umjubelten Tournee quer durch Europa, Japan und Lateinamerika
für alle nachholbar wird, die seine Auftritte verpasst haben,
gleicht einer Achterbahnfahrt durch die 29 Album-Titel - jeder einzelne
ein Schwindel erregender Looping aus explosiven Latino- und Reggae-Beats
- Turbopop am Rande des Schleudertraumas.
Die
mitreißende Party ist aber nicht unabhängig vom politischen
Anspruch Manu Chaos. Seine ungeheure Popularität etwa in Mexiko
erklärt sich auch durch seine Unterstützung der "Zapatistas",
der Befreiungsbewegung der Indios und Kleinbauern im Süden des
Landes. Jugendliche in Südamerika verehren Manu Chao für
seine deutliche Kritik an den vielerorts noch existenten feudalistischen
Strukturen, und in Europa beteiligt er sich an den Protesten der Globalisierungs-Kritiker,
etwa, als er im Juli 2001 im Rahmen der Gegenveranstaltungen zum G7-Gipfel
in Genua ein Konzert gibt.
Die
klaren und unmissverständlichen Botschaften werden ergänzt
durch den direkten und unverfälschten Charakter der Musik: Auf
eine Nachbearbeitung der an zwei Abenden in Paris aufgezeichneten
Konzerte wurde bewusst verzichtet. Allerdings wurden einzelne Passagen
unauffällig gekürzt, um das gesamte Programm auf nur einer
CD unterbringen zu können.
Durch
die so entstandene übergangslose Aneinanderreihung der Lieder
wirkt das Tempo nochmals beschleunigt. So jagt Manu Chao durch die
Titel seiner beiden bislang erschienenen Solo-Alben "Clandestino"
und "Proxima Estacion Esperanza", ergänzt um einige
der "alten" Mano Negra-Hits (u.a. "Mala vida",
"Casa Babylon", "King Kong Five", "Peligro").
Umstandslos wird man mitgerissen von dieser tosenden Welle namens
"Radio Bemba Soundsystem". Ein Live-Album, das selbst den
nahenden Herbst noch einmal vertreiben kann.
Michael
Frost, 07.09.2002