Er ist Europas Antwort auf Bob Marley: Manu Chao, Franzose mit spanischer Wahlheimat - doch was sagt der Wohnort schon aus über jemanden, der die meiste Zeit des Jahres auf Tournee verbringt. Als einer, der im wahrsten Sinne des Wortes Weltmusiker macht, hat Manu Chao alles erreicht, was möglich erscheint. Wie ein Orkan fegt sein Sound aus Punk, Ska, Salsa, Reggae, Flamenco, Hiphop, Rock, Rumba, Raï, Karneval - und was sonst noch seinen Weg kreuzt - über das Publikum hinweg. Jeder Auftritt, jedes Konzert ist dabei nicht nur Party, sondern auch ein politisches Manifest. Manu Chao, seine Band und das Publikum demonstrieren gemeinsam gegen Kapital, Unterdrückung, Krieg und Entrechtung.
Den Ort für seinen zweiten Konzertmitschnitt (2002 war bereits das Live-Album "Radio Bemba Sound System" erschienen) dürfte er mit Bedacht gewählt haben. Im Hochsommer 2008, auf dem Höhepunkt der "Tombolatour", tritt er die Stierkampfarena von Bayonne, der "Baionarena", auf. Standesgemäß begrüßt er das französische, spanische und internationale Publikum in "Baiona" auf Baskisch und setzt damit das erste politische Signal des Abends.
Der selbst am heimischen Bildschirm noch umwerfende Mitschnitt zeigt, wie die Stimmung sowohl bei der Band als auch beim Publikum schon vor dem ersten Auftritt von Manu Chao auf dem Siedepunkt kocht. Das Tempo, das während der folgenden zweieinhalb Stunden kaum einmal wirklich gedrosselt wird, bleibt Atem beraubend. In geradezu irrwitziger Geschwindigkeit jagt er durch mehr als dreißig Songs, häufig ohne erkennbare Übergänge: "Baionarena" dokumentiert einen Multikulti-Rave mit der Magie einer rituellen Trance-Zeremonie, in deren Verlauf die Fronten klar proklamiert werden: "Tequila, Sex e Mariuana" (gut), und "Le président des États Unis George Bush" (schlecht). Allein die Erwähnung des Namens garantiert gellende Pfeifkonzerte, wie auf ein Zeichen erhebt sich ein Meer aus Halstüchern in den Farben des Baskenlandes.
Manu Chao ist ein Verführer für die gerechte Sache, und das Publikum folgt ihm ergeben von Höhepunkt zu Höhepunkt, etwa "Clandestino", fast schon eine Hymne der Globalisierungskritiker über die aussichtslose Hoffnung junger Mexikaner auf ein besseres Leben in den USA. Das Mittelmeer hat längst die gleiche Funktion übernommen wie die unüberwindbare Grenzbefestigung zwischen den USA und Mexiko, und so gewinnen viele Texte über das postkoloniale Verhältnis der USA zu ihren lateinamerikanischen Nachbarn eine immer offensichtlicher werdenden europäischen Bezug.
Trotz der ernsten Themen fehlt Manu Chao jeder Anflug von Verbissenheit. "Baionarena" ist deshalb vor allem eine fulminante Party mit der besten Livemusik des Jahres - wenn man denn über die Kondition verfügt, der Subversivität, der Explosivkraft und dem Tempo dieses Ausnahmemusikers zu folgen. Inzwischen ist Chao schon wieder weiter gehetzt: Im Winter spielt er mit seiner Band in Argentinien und Chile.
"Baionarena" erschien als Set mit einer Doppel-CD sowie einer DVD mit dem kompletten Konzertmitschnitt in hervorragender Dolby 5.1-Abmischung.
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Michael Frost, 07.11.2009