Was
haben westafrikanische Vokalharmonie, nordischer Schamanengesang und
kapverdische Morna gemeinsam? Nichts, möchte man meinen. Sie sind
als Traditionen ihrer jeweiligen Kulturen ebenso einzigartig wie amerikanischer
Folk und irische Flöten.
Gemeinsam
ist diesen Stilen aus allen Himmelsrichtungen jedoch, dass ihre jeweils
führenden Vertreterinnen und Vertreter wenigstens einmal im "Cedar
Cultural Center" von Minneapolis auftraten. Und das "Cedar"
ist ein besonderer Ort: Gegründet von einer privaten Kulturinitiative
mit hohen Idealen verfolgt es das Ziel der "Kunst für Jedermann".
Folglich lädt man Musiker aus der ganzen Welt ein und sorgt gleichzeitig
für Eintrittspreise, die es auch weniger finanzkräftigen
Musikfans erlauben, einmal in den Genuss der Stimme eines Dave van
Ronk, einer Mari Boine oder eines Loudon Wainwright zu kommen.
Wohl
nicht ganz ohne Stolz präsentieren die Verantwortlichen des "Cesar"
nun eine Auswahl mitgeschnittener Auftritte auf einer CD - Motto:
"Visionaries". Der Überblick versammelt fünfzehn
Künstler, fünfzehn Visionäre, mit jeweils einem Song,
darunter die bereits Erwähnten wie Mari Boine, Sami-Sängerin
aus Norwegen, und Loudon Wainwright III, Vater der inzwischen nicht
minder erfolgreichen Songwriter Rufus und Martha Wainwright, oder
Cesaria Evora, die bereits während ihrer ersten US-Tour im "Cesar"
gastierte.
Baaba
Maal und Ali Farka Touré, Legenden afrikanischer Musik, spielten
im "Cedar" ebenso wie die erste Garde US-amerikanischer
Folksänger. Die Compilation dokumentiert u.a. Auftritte des umtriebigen
Bill Frisell, der mit zahllosen Projekten immer wieder ins "Cedar"
zurück kehrte, und selbstredend Ani Difranco, die sicherlich
nicht zweimal um Unterstützung der soziokulturellen Intention
der "Cesar"-Initiatoren gebeten werden musste.
Die
Zusammenstellung von Genres, die nach oberflächlicher Betrachtung
keine wirklichen Gemeinsamkeiten haben, funktionieren dennoch. Denn
die Künstler sind authentisch, weil sie die musikalischen Traditionen
ihrer Länder und Völker glaubwürdig vertreten, ohne
sich von anderen Einflüssen abschotten zu wollen. Wenn Cesaria
Evora ihr "Petit Pays", das "kleine Land", besingt,
dann hat das etwas Rührendes und zugleich einen Aspekt der Selbstbehauptung,
in dem sie wie selbstverständlich ihren Platz in der Musikwelt
einnimmt - und damit ihre eigene Vision bereits realisiert.
Mit
dem gleichen Selbstbewusstsein stehen auch die anderen Beteiligten
auf der Bühne des "Cedar", und so bildet das kleine
"Cedar" in Minneapolis als Ort eine Klammer um die große
Welt der Musik.
©
Michael Frost, 07.11.2006