Zeit, erwachsen zu werden. Pelle Carlberg wird im nächsten Jahr 40. Im selben Alter textete Robert Smith (The Cure) bereits in tiefster Verzweiflung "39 - and the fire is almost out" ("39", von dem 2000 erschienenen Album "Bloodflowers"). Pelle Carlbergs Lebensgefühl ist jedoch ein anderes. Obwohl der im schwedischen Uppsala geborene Songwriter bereits stolzer Familienvater ist, hat er sich einen Rest jugendlicher Unbeschwertheit bewahren können.
Seine Songs wirken spontan und unbekümmert, die meisten der ausschließlich akustischen Instrumente spielt er selber, sein heller, unverstellter und ungefilterter Gesang hat fast etwas Unbeholfenes und ist vermutlich deshalb besonders sympathisch.
Dabei sind Carlbergs Songs nur bei oberflächlicher Betrachtung so freundlich und scheinbar naiv, denn hinter all dem Klatschen und Pfeifen lauert sein bissiger Humor, etwa, wenn er seinem Wohnort Stockholm, der sich aufgrund seiner mondänen Altstadtbauten gern als "Paris des Nordens" bezeichnen lässt, ins Stammbuch schreibt, "dog shit in Paris is special - and dog shit in Stockholm is shit" ("Stockholm vs. Paris"). Oder wenn er darüber sinniert, wie das ganze Land um ein totes Nashorn im Zoo trauert, während: "When Grandma died, no one cried" ("Animal lovers").
Kein Zweifel: Pelle Carlberg hat sich ausführlich mit Vorbildern von The Smiths bis Belle & Sebastian beschäftigt. Wie sie mischt er zartschmelzenden Croonerpop mit sarkastischer, manchmal aber auch betont belangloser Songlyrik, etwa in "Fly me to the moon", in dem der Sänger seine Flugerfahrungen mit Ryan Air "verarbeitet" ("I'll never fly with you again Ryan").
Jeder hat Geschichten, die er erzählen kann, so lautet sein Credo, das er insbesondere mit heimischen Kollegen wie José Gonzalez oder seinem Göteborger Kollegen Jens Lekman teilt, dessen Album ihm mit einer Ode an die Dämmerung in öden Vororten ("Night fell over Kortedala") vorauseilte. Alles ist erlaubt, keine Begebenheit zu nichtig, um nicht doch in einen 3-Minuten-Indiefolk-Song verpackt zu werden. "The lilac tim" nun, Pelle Carlbergs drittes Album, nimmt den Faden wieder auf und spinnt ihn weiter.
Und wie es sich für einen bald 40-Jährigen gehört, ist das Album gespickt mit Erinnerungen an die Jugend ("1983" - Pelle & Sebastian) oder den Versuch, noch einmal jung zu sein ("Nicknames"). Nein, Pelle Carlberg würde Robert Smith wohl entschieden widersprechen, immerhin hält er stolz Anschluss an die neue Zeit, Rückschläge inbegriffen: 51 (!) sei sein "mentales Alter", habe ein Test auf facebook ergeben, berichtet Pelle Carlberg voller Selbstironie in dem Song "51,3": "I'm getting old // Time takes a certain toll // I've lost control ..."
Nun, ganz so schlimm wird es schon nicht kommen. Robert Smiths Song "39" ist immerhin acht Jahre alt - der Cure-Frontmann steuert längst auf die 50 zu. Bis dahin hat Pelle Carlberg noch viel Zeit.
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Michael Frost, 15.10.2008