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Gottloser Gospel
in der Muppetshow


Sie kann beliebige Formen annehmen: Katzen, Hunde, Esel, Donald Duck. Sie spielt mit Wasser und benutzt den eigenen Körper als Resonanzinstrument. Ihre Freunde können zu Fröschen, Elefanten und exotischen Vögeln werden, und alle gemeinsam verbinden sie sich zu einem der ungewöhnlichsten Alben des Jahres.

Die, die sich das alles ausdenkt, heißt Camille. Sie startete als Sängerin des Retro-Projekts "Nouvelle Vague", doch inzwischen hat sie sich als Solokünstlerin eine in jeder Hinsicht herausragende Position erarbeitet, die sie mit ihrem neuen Album "Music hole" weiter festigen dürfte.

"Music hole" ist in weiten Teilen ein A capella-Album. Schon früher spielte Camille mit diesen Elementen, doch nie so konsequent und durchgängig wie jetzt. Den Rhythmus liefern menschliche Beatboxer, Instrumente werden durch eine verwirrende Vielzahl aus Gesang und Lautmalerei, Körperpercussion und imitierten Tiergeräuschen ersetzt. Wie es Camille gelingt, aus diesem scheinbar undurchdringlichen Dschungel an Klängen immer wieder großartige und überraschend eingängige Melodien, ja, fast konventionelle Songstrukturen zu formen, ist dabei nur eines der faszinierenden Erlebnisse beim Hören von "Music hole".

In einer Bandbreite von kokettem Augenaufschlag bis zur bissigen Ironie gelingt ihr mit diesen reduzierten Mitteln ein Höchstmaß an stilistischer Vielfalt: Pophymne, R&B, arabische Rhythmen und "Cats and dogs", aufgebaut wie ein Varieté-Stück, bei dem sich schließlich ein ganzer Bauernhof zu einem skurrilen Chor versammelt. Unter anderem sind Schafe, "braune" und "gelbe" Kühe (!) zu hören, aber auch Enten, Giraffen und Fische (!!) - ein Song wie eine Hommage an die legendäre Muppet-Show. Ihr ironischer Umgang mit verschiedenen Genres wird gleich zu Beginn deutlich: Der temperamentvolle Einstieg heißt ausgerechnet "Gospel with no Lord" - an sich ein Ding der Unmöglichkeit, doch Camille bezieht genau aus dieser Reibung ihre unbändige Energie. Freudestrahlend präsentiert sie ihre verblüffenden Visionen: Kirchenlieder ohne Kirche, Wellen ohne Wasser ("Waves"), Symphonien ohne Orchester.

In der Bandbreite der Möglichkeiten des A capella-Sounds, der heute vom kultivierten Pop der schwedischen "Real Group" über den unvermeidlichen Bobby McFerrin bis hin zu Björks urgewaltigem Experimentalalbum "Medúlla" reicht, definiert Camilles "Music hole" einen eigenen Standard, der traditionelle Harmonielehre und experimentelle Klangkompositionen gleichermaßen als Grundlage hat, ohne sich dabei einseitig festzulegen.

© Michael Frost, 10.05.2008

 


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