Auch wenn allen Beteiligten bewusst war, dass dieser Auftritt ein denkwürdiges Ergebnis werden würde, so dürften die tatsächlichen Ausmaße schließlich selbst höchste Erwartungen übertroffen haben. Als die Mitglieder des Buena Vista Social Club am 1. Juli 1998 in Begleitung von Gitarrist und Produzent Ry Cooder die Bühne der ehrwürdigen Carnegie Hall zu New York betraten, war schon das Zustandekommen des Konzerts eine Sensation.
Das von Ry Cooder produzierte Originalalbum hatte im Jahr zuvor einen Grammy gewonnen und die kubanischen Altstars Ibrahim Ferrer, Rubén Gonzales, Compay Segundo, Eliades Ochoa, Omara Portuondo und Pio Leyva weltberühmt gemacht. Mit 8 Mio. verkauften Exemplaren ist "Buena Vista Social Club" das meistverkaufte Weltmusikalbum überhaupt. Die meisten Musiker wurden zu gefragten Solostars, die eine Welle des weltweiten Interesses für kubanische Musik begründeten, die bis heute nicht abebbte.
Nach dem Erfolg zweier gemeinsamer Auftritte in Amsterdam wollten die Musiker, die normalerweise ihre eigenen Wege gingen, den "Buena Vista Social Club" noch einmal mit einem großen Finale in der Carnegia Hall hochleben lassen. Schon die Genehmigung der Reisevisa für die zwanzig Personen umfassende Band dürfte keine Kleinigkeit gewesen sein - besteht doch in den USA seit Jahrzehnten ein striktes Embargo gegen die sozialistische Inselrepublik. Der deutsche Filmregisseur Wim Wenders reiste ebenfalls nach New York, um das Konzert zu filmen. Der Mitschnitt wurde zur Grundlage seines Dokumentarfilms über den Buena Vista Social Club, der dessen Berühmtheit nochmals kräftig beförderte.
Das Ereignis war einzigartig. Omara Portuondo bekannte, von dem Jubel der Zuschauer, mit dem sie begrüßt wurde, so überwältigt gewesen zu sein, dass sie die Bühne gleich wieder verlassen musste. "Viele von uns", sagte sie später, "weinten in dieser magischen Nacht."
Erstmals ist der komplette Auftritt nun auf einer Doppel-CD erschienen. Der Mitschnitt enthält all die die großartigen Boleros und Sons, mit denen das Orchester aus Havanna berühmt wurde, doch darüber hinaus macht es die Magie des Auftritts noch einmal spürbar. Es ist, als hätten die Musiker die Gesetze des Alterns an diesem Abend außer Kraft gesetzt: Rubén Gonzalez, dessen Finger mit behender Leichtigkeit über die Klaviertasten tanzen ("Mandinga", "Almendra"); Ibrahim Ferrer mit dem ganzen Schmelz eines frisch Verliebten ("Dos gardenias"), Omara Portuondo mit einer feurigen Version des Klassikers "Quisaz, quisaz"; "El cuarto de Tula", "Chan Chan" und "Candela", drei Stücke, mit denen das komplette Ensemble die ehrwürdige Carnegie Hall in einen Hexenkessel verwandelt. Es war, sagt Ry Cooder, "als hätte man alle Flaschengeister dieser Welt erweckt".
Dabei ist es nicht eine durchgestylte, bis ins kleinste Detail abgestimmte Show, die die Zuschauer aus den Sitzen reißt, sondern das exakte Gegenteil: Die Musiker improvisieren, sie kommunizieren, sie beflügeln sich gegenseitig, sie variieren Texte, sie feiern sich, ihre Musik, ihre Kollegen, ihr Publikum, ihr Land, ihren späten, aber umso verdienteren Erfolg - bis zum bewegenden Ende, dem zu Tränen rührenden Duett von Ibrahim Ferrer und Omara Portuondo: "Silencio".
Zehn Jahre nach dem New Yorker Konzert ist es zwangsläufig ruhiger geworden um Kubas berühmtestes Orchester. Omara Portuondo veröffentlichte zwar erst vor wenigen Wochen ein neues Album ("Gracias"), doch Rubén Gonzalez, Compay Segundo und Ibrahim Ferrer leben bereits nicht mehr. Ihr Ruhm wird ihre Zeit überdauern.
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Michael Frost, 13.10.2008