"Wir
heben ab" heißt Ben Beckers zweite Musik-CD. Mal abgesehen
davon, dass in mehreren Songs vom Fliegen die Rede ist, halten Ben
Becker und seine beiden Instrumentalisten Ulrik Spies und Jacki Engelken,
die sich "zero tolerance band" nennen, dieses Versprechen
nicht ein.
Ben
Becker will an die ganz großen Gefühle herankommen: "richtig
fliegen" heißt es in dem gleichnamigen Song, das ist "warten
auf den großen Knall". Natürlich, der große
Knall passiert im Kopf, im vollgedröhnten Kopf, und Becker reimt:
"Du fliegst mal wieder mit überschall/wie mir scheint, mein
kind/du fällst hin, überschlägst dich, implodierst/du
verläßt dich, schaust dich an, so verletzlich..."
Eine Aufzählung, die mehr als hölzern klingt, und die weder
durch den gefällig glatten Sound der Zeroband noch durch Beckers
Stimme beglaubigt wird.
Das
selbstzerstörerische Abheben im Kopf wird in den Songs und in
der Fotoausstattung des beigefügten Booklets in Verbindung gebracht
mit dem Abheben ziviler und militärischer Flieger. Die Zero Tolerance
Band versteht sich als "Desaster Response Force", eine ironische
Anspielung, die nach dem Attentat am 11. September einen ebenso makabren
Beigeschmack erhält wie einige Song-Zeilen, in denen es um brennende
maschinen geht, die "bomben werfen über dubai" oder
in denen es lapidar heißt: "flüge buchen, feuer legen,
keine angst mehr abzuheben."
Daraus,
dass Beckers Worte jetzt anders verstanden werden können, als
sie gedacht waren, soll ihm kein Vorwurf gemacht werden. Mein Problem
ist, dass sie so größenwahnsinnig daherkommen, und deshalb
so erschreckend "prophetisch" anmuten, mein Problem ist
der Hang zur Pose, mit der sich diese Band als besonders explosiv
(bzw. implosiv) stilisiert.
Ein
besonders krasses Beispiel, noch einmal aus dem Song "Wir heben
ab": wie ein kätzchen ohne mutter/wie der tiger vorm käfig/
wie die USA im krieg/ wie mick jagger auf der bühne/ wie ich
selber an der bar/ wie GOTT im himmel/ so fühl ich mich...."
Becker hat selber geahnt, dass diese Reihung ziemlich größenwahnsinnig
klingt, und um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, bringt
er es Zeilen später selber auf den Begriff: "dekadenz und
größenwahn/wir heben ab..."
Ich
kann ihm nicht widersprechen, vor allem deshalb nicht, weil seine
Stimme nichts von dem Leid und den Schmerzen erzählt, die die
Texte vorgeben. Darin liegt der große Unterschied zu Rio Reiser,
der durchaus ähnliche Stimmungen zum Ausdruck gebracht hat, und
der auf "Himmel&Hölle", einer seiner letzten CD´s,
in dem Song "Gefahr" ebenfalls von der Lust zu "explodieren",
"zu sterben oder töten" singt.
Aber
bei Rio Reiser klingt diese schwer zu fassende Sehnsucht in Text und
Stimme authentisch. Bei Ben Becker wirkt es gekünstelt, gestylt
wie er selber und die drei Jungs auf dem Cover. Weiße Klamotten,
starrer, aggressiver Blick. Nicht besser gelingen die sentimentalen
Songs.
Bei
Becker muß alles platt und ausgesprochen eindeutig sein: "Ich
schwebe melancholisch durch die Stadt". "Ich liebe nur mich"
heißt dieser Song mit einem ruhigen, an frühe Miles-Davis-Klänge
erinnernden Jazz-Hintergrund. Nicht, dass diese Jungs - sie sind Filmkomponisten
- nichts können, nein, das musikalische Gewebe ist handwerklich
gediegen, aber die Mixtur aus sanften und härteren Rock bis Techno-Tönen
ist allzu glatt, wenig innovativ, die Musik begleitet nur, sie bleibt
Hintergrund für einen Mann, der als Schauspieler überzeugen
kann, dereine gute Schauspieler-Stimme hat, der aber mit dieser CD
weder in den Himmel der Songwriter noch in den der Sänger abgehoben
ist.
Da
nützt auch die Titelzeile seines Schlussliedes wenig: "Erdbeerfelder"
nach "Strawberry fields forever" von John Lennon hat nichts
mit dem Beatles-Song zu tun, und wenn am Ende einer fast 20-minütigen
Wiederholung ein und desselben Akkordes - Avantgarde als leere Pose
- Becker seufzend fragt: "Wie lange ist John Lennon noch tot?",
dann möchte man ihm zurufen, mit dieser Scheibe wirst du ihn
nicht vom Himmel holen.
"Ben
Becker: Wir heben ab" ist eine Gast-Kritik
von
Hans Happel (Oktober 2001). Was du wissen solltest, wenn du uns auch
eine Gast-Kritik senden willst, erfährst du hier.