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Abgehoben
Gast-Kritik von Hans Happel


"Wir heben ab" heißt Ben Beckers zweite Musik-CD. Mal abgesehen davon, dass in mehreren Songs vom Fliegen die Rede ist, halten Ben Becker und seine beiden Instrumentalisten Ulrik Spies und Jacki Engelken, die sich "zero tolerance band" nennen, dieses Versprechen nicht ein.

Ben Becker will an die ganz großen Gefühle herankommen: "richtig fliegen" heißt es in dem gleichnamigen Song, das ist "warten auf den großen Knall". Natürlich, der große Knall passiert im Kopf, im vollgedröhnten Kopf, und Becker reimt: "Du fliegst mal wieder mit überschall/wie mir scheint, mein kind/du fällst hin, überschlägst dich, implodierst/du verläßt dich, schaust dich an, so verletzlich..." Eine Aufzählung, die mehr als hölzern klingt, und die weder durch den gefällig glatten Sound der Zeroband noch durch Beckers Stimme beglaubigt wird.

Das selbstzerstörerische Abheben im Kopf wird in den Songs und in der Fotoausstattung des beigefügten Booklets in Verbindung gebracht mit dem Abheben ziviler und militärischer Flieger. Die Zero Tolerance Band versteht sich als "Desaster Response Force", eine ironische Anspielung, die nach dem Attentat am 11. September einen ebenso makabren Beigeschmack erhält wie einige Song-Zeilen, in denen es um brennende maschinen geht, die "bomben werfen über dubai" oder in denen es lapidar heißt: "flüge buchen, feuer legen, keine angst mehr abzuheben."

Daraus, dass Beckers Worte jetzt anders verstanden werden können, als sie gedacht waren, soll ihm kein Vorwurf gemacht werden. Mein Problem ist, dass sie so größenwahnsinnig daherkommen, und deshalb so erschreckend "prophetisch" anmuten, mein Problem ist der Hang zur Pose, mit der sich diese Band als besonders explosiv (bzw. implosiv) stilisiert.

Ein besonders krasses Beispiel, noch einmal aus dem Song "Wir heben ab": wie ein kätzchen ohne mutter/wie der tiger vorm käfig/ wie die USA im krieg/ wie mick jagger auf der bühne/ wie ich selber an der bar/ wie GOTT im himmel/ so fühl ich mich...." Becker hat selber geahnt, dass diese Reihung ziemlich größenwahnsinnig klingt, und um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, bringt er es Zeilen später selber auf den Begriff: "dekadenz und größenwahn/wir heben ab..."

Ich kann ihm nicht widersprechen, vor allem deshalb nicht, weil seine Stimme nichts von dem Leid und den Schmerzen erzählt, die die Texte vorgeben. Darin liegt der große Unterschied zu Rio Reiser, der durchaus ähnliche Stimmungen zum Ausdruck gebracht hat, und der auf "Himmel&Hölle", einer seiner letzten CD´s, in dem Song "Gefahr" ebenfalls von der Lust zu "explodieren", "zu sterben oder töten" singt.

Aber bei Rio Reiser klingt diese schwer zu fassende Sehnsucht in Text und Stimme authentisch. Bei Ben Becker wirkt es gekünstelt, gestylt wie er selber und die drei Jungs auf dem Cover. Weiße Klamotten, starrer, aggressiver Blick. Nicht besser gelingen die sentimentalen Songs.

Bei Becker muß alles platt und ausgesprochen eindeutig sein: "Ich schwebe melancholisch durch die Stadt". "Ich liebe nur mich" heißt dieser Song mit einem ruhigen, an frühe Miles-Davis-Klänge erinnernden Jazz-Hintergrund. Nicht, dass diese Jungs - sie sind Filmkomponisten - nichts können, nein, das musikalische Gewebe ist handwerklich gediegen, aber die Mixtur aus sanften und härteren Rock bis Techno-Tönen ist allzu glatt, wenig innovativ, die Musik begleitet nur, sie bleibt Hintergrund für einen Mann, der als Schauspieler überzeugen kann, dereine gute Schauspieler-Stimme hat, der aber mit dieser CD weder in den Himmel der Songwriter noch in den der Sänger abgehoben ist.

Da nützt auch die Titelzeile seines Schlussliedes wenig: "Erdbeerfelder" nach "Strawberry fields forever" von John Lennon hat nichts mit dem Beatles-Song zu tun, und wenn am Ende einer fast 20-minütigen Wiederholung ein und desselben Akkordes - Avantgarde als leere Pose - Becker seufzend fragt: "Wie lange ist John Lennon noch tot?", dann möchte man ihm zurufen, mit dieser Scheibe wirst du ihn nicht vom Himmel holen.

 

"Ben Becker: Wir heben ab" ist eine Gast-Kritik
von Hans Happel (Oktober 2001). Was du wissen solltest, wenn du uns auch eine Gast-Kritik senden willst, erfährst du hier.

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