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Bach im
21. Jahrhundert


Ein Blick über den Tellerrand: Vier niederländische Musiker haben sich 1982 in Rom gefunden und das Kammermusik-Ensemble "Aurelia Saxophone Quartett" gegründet, das Konzerte in der ganzen Welt gibt und inzwischen neun CDs veröffentlicht hat. Neben Bearbeitungen der Streichquartette von Ravel, Debussy und Schostakowitsch oder der Sonaten von Scarlatti spielen sie bevorzugt Werke zeitgenössischer Komponisten, die sie in bisher 70 Welturaufführungen vorgestellt haben.

Mit der Doppel-CD FUGUE IN C OF DOG verbinden sie ihre beiden Leidenschaften, indem sie aufs Schönste eine Brücke zwischen alter und neuer Musik schlagen. Ihre Interpretation von Johann Sebastian Bachs KUNST DER FUGE - in neuer Anordnung von den einfachen zu den virtuoseren Formen - ist von einer schnörkellosen Gradlinigkeit, möglich gemacht durch das überraschend einheitliche Klangbild der vier Saxophone.

Johan van der Linden (Sopran-Saxophon), Niels Bijl (Alt), Arno Bornkamp (Tenor) und Willem Van Merwijk (Bariton und Bearbeitung) verzichten auf Verzierungen und lassen das Monumentalwerk aus Bachs letzten Jahren in aller Feinfühligkeit erklingen.

So ist keine irgendwie exotische oder aparte Adaption entstanden, sondern eine Interpretation von höchstem Rang, die sich neben den traditionellen Formen der Instrumentierung (Klavier, Cembalo oder Streichquartett) behaupten kann. Um Bachs "Denkmal" mit einem zeitgenössischen Kommentar zu versehen, haben die Musiker 15 Komponisten gebeten, sich in einem eigenen Werk mit der Kunst der Fuge auseinander zu setzen.

Gibt es die Fuge noch im 21. Jahrhundert? lautete ihre Frage und die Antworten sind - bei aller Verschiedenheit - eindeutig. Alle Beteiligten - aus ganz Europa, Nord- und Südamerika - lassen die ebenso komplexe wie schöne Form der barocken Kunst durchschimmern, sie zitieren Bach, variieren ihn, zerbrechen ihn, verschleiern ihn, versetzen ihn mit anderen musikalischen Formen (dem Tango etwa) oder mit experimentellen Klanggeräuschen. Während der älteste Teilnehmer, der Brite David Rowland (Jahrgang 1939) in DREAM FUGUE Form und Geist der klassischen Fuge durch die "Tarnung der heutigen Klangwelt" hindurch schimmern lässt, komponiert der Jüngste, der Niederländer Joey Roukens (Jahrgang 1982), mit FADING FUGUE eine "Fuge, die sich weigert, eine Fuge zu sein".

Störungen brechen die anfangs fugatisch geführten Stimmen immer weiter auf. Der Grieche Dimitri Nicolau (Jahrgang 1946) verweigert dagegen von Anfang an die ihm unsympathische Rationalität der Fuge. Er ließ sich für seine FUGUE IN C OF DOG von zwei Hunden inspirieren, die er beim Liebesspiel beobachtete: "In dem Moment sah ich den Aufbau meiner Fuge vor mir", schreibt er im hoch informativen 30-Seitigen Beiheft - "nicht den Regeln des Verstandes folgend, sondern dem Gefühl. So ist dies meine erste Komposition, die nicht die Liebe zwischen Mann und Frau beschreibt, sondern die zwischen Hunden."

Und weil die Musiker das Verspielte und Spielerische dieser musikalischen Bach-Kommentare betonen, haben sie die Komposition IN C (!) OF DOG nicht nur zum Titelstück erhoben, sondern als Cover-Foto einen Hundekopf mit groß aufgerissenen Augen und schneeverwehter Schnauze ausgewählt. Auch im 21. Jahrhundert, so scheint es, hat Bach noch etwas zu sagen. Ein faszinierendes Album, ein musikalischer Hochgenuss.

© Hans Happel, 19.02.2006

 


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