Die stolze, fast ein wenig arrogante Schönheit der weißen Blüte einer Calla; Perlen aus Wassertropfen auf einer glänzenden Oberfläche; der schroffe Kontrast einer rauchenden Fabrik inmitten einer verlassenen Landschaft; das zarte Gelb sich öffnender Narzissen oder ein goldener Abendhimmel. Das sind nur einige der höchst assoziativen Bilder, welche die Hörer von Ólafur Arnalds auf das Fotoportal "flickr" hochluden, um seine instrumentalen Neoklassik-Kompositionen zu bebildern.
Ein wenig erinnert das Instrument an das unbetitelte Sigur Rós-Album aus dem Jahr 2002. Die Landsleute von Ólafur Arnalds hatten das Booklet lediglich mit zwei Leerklammern gestaltet, die von den Hörern schließlich mit eigenen Assoziationen gefüllt werden sollten.
Ólafur Arnalds seinerseits lud im April 2009 in einem einwöchigen Projekt sieben neue Kompositionen, jeden Tag eine, via "twitter" ins Internet, die anschließend bebildert werden sollten. Dahinter steckt allerdings mehr als der Versuch der Versöhnung von Musik und Internet - ihm geht es um den Kontakt eines breiten Publikums mit klassischer Musik. "Die klassische Szene", sagt er, "ist denjenigen verwehrt, die nicht ihr Leben lang Musik studiert haben. Ich würde gerne meine klassischen Einflüsse Leuten näherbringen, die sonst nicht diese Art von Musik hören, und sie dadurch aufgeschlossener für sie machen."
So hat man als Hörer, wie schon bei Arnalds Album "Eulogy for evolution", mehrere Möglichkeiten der Annäherung. Sicherlich profitieren auch seine "Lost songs" von der Vorarbeit von Sigur Rós. Sinfonische Elemente, Streicher und eine tief unter die Haut gehende, manchmal elegische Grundstimmung, sind wenigstens den Fans der isländischen Band, die sonst meist aus dem Rockspektrum kommen, nicht unbekannt. Bis zu den berührend-melancholischen Pianoläufen Arnalds' ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
In sich versunken und selbst vergessen entwickelt er leise Etüden, die er mal als Monolog seines Instruments belässt, dann und wann durch zusätzliche Klänge ergänzt. War dies auf "Eulogy for evolution" noch eine faszinierend lärmende E-Gitarre, die zum Albumende mit einem gewaltigen Crescendo aufwartete, entschied Arnalds sich bei den "Found Songs" vor allem für die Unterstützung durch Streichinstrumente, welche die manchmal kaum noch zu ertragene Schönheit der Atmosphäre nochmals verdichten.
Schließlich bringt er die Grenzen zwischen Klassik und Moderne zum Fließen. In "Lost song" werden Klavier und Geigen von dumpfen, monotonen Digitalbeats untermalt, unterstrichen und auch unterlaufen - es sind exakt die in den eingesandten Fotos dokumentierten Gegensätze, die darin zum Ausdruck kommen. Ólafur Arnalds' "Found songs" sind ein berührendes, faszinierendes Erlebnis.