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Blick auf eine zerbrechliche Welt

 

Ólafur Arnalds hat das Kunststück geschafft, ein Indierock-Publikum für klassische Pianoetuden zu begeistern. Bardi Johannsson wiederum holt coole Triphop-Fans mit bildgewaltigen Klanglandschaften aus den Sesseln. Arnalds verschmilzt mit den Tasten seines Klaviers, auf dem er, nur scheinbar ziellos, voller Hingabe leise Bilder malt, die fast immer nur aus dem einzelnen Ton, nie aus Akkorden, zu bestehen scheinen. Bardi Johannsson hingegen liebt die orchestrale Opulenz. Gemeinsam mit der französischen Songwriterin Keren Ann inszenierte er das Konzeptalbum "Lady & Bird", das beide später mit einem kompletten Sinfonieorchester auf die Bühne brachten. Ólafur Arnalds' Musik ist nicht weniger episch, aber mit Leerstellen gefüllt, die erst im Kopf des Zuhörenden mit Assoziationen gefüllt werden müssen.

Dass Arnalds und Johannsson nun zusammen fanden, um Arnalds neues Album gemeinsam zu produzieren, ist folglich eine Überraschung: Zwei unterschiedliche Konzepte treffen aufeinander: Zwei Ausnahmekünstler, jeweils einzigartig und radikal, aber gemeinsam fasziniert von den Möglichkeiten der Grenzüberschreitung nicht nur von Genres, sondern Künsten im allgemeinen. Sie schrieben Musik für Filme und das Theater, darunter sowohl Schauspiel als Tanztheater.

"...and they have escaped the weight of darkness" ist der seltsam berührende Titel des Albums, mit dem Ólafur Arnalds seine ungewöhnliche Karriere nun fortsetzt. Er profitiert von dem besonderen Ruf, den isländische Musik seit Björk und Sigur Rós weltweit genießt und sicherlich auch ihm geholfen hat, ein Publikum für sein Konzept der Neo-Klassik zu finden. Konsequent setzt er diese Idee auch auf dem neuen Album um. Neun Titel, instrumental und mit isländischen Namen, eröffnen also einen faszinierenden, zunächst jedoch unverständlichen Blick auf eine zerbrechliche Welt aus den eleganten und sehr intimen Tönen eines einsamen Klaviers.

Arnalds reiste nach Braunschweig und nahm sämtliche Klavierparts in der traditionsreichen Piano-Fabrik Schimmel auf, bevor die weiteren Instrumente - vor allem ein Streichensemble - in isländischen Tonstudios ergänzt wurden. Es dürfte Bardi Johannsson einigermaßen schwer gefallen sein, gerade die Streicher so im Zaum zu halten, dass sie sich nur im absoluten Ausnahmefall zu einem lauten Crescendo erheben - meist ist es nur eine vereinzelte Geige, Viola oder Cello, die Arnalds' meditatives Klavierspiel begleitet, verfolgt, umgarnt und betört.

Erst am Ende des siebten Stücks "Hægt, kemur ljósid" darf Bardi Johannsson aus dem Vollen schöpfen, dann setzt er aber auch noch Drums, Bass und Bläser ein - und für einen kurzen Moment öffnet sich der Wolken verhangene Himmel.

Es ist ein Kunstwerk von besonderer, tief unter die Haut gehender Schönheit, das Arnalds hier geschaffen hat. Mag sein, dass er gegenüber seinen vorigen Alben gereift ist, vor allem jedoch wirkt "... and they have escaped the weight of darkness" fokussierter, konzentrierter auf die besondere Essenz seines Könnens, seines besonderen Ausdrucks.

Johannssons Leistung als Co-Produzent besteht darin, die Qualität seines Kollegen erkannt zu haben und ihn nunmehr darin zu unterstützen, seine Vision pointiert umzusetzen und dabei jede Überladung der Komposition zu vermeiden. Er selbst wird dann im Juli auf seine Kosten kommen, wenn Arnalds das Album live aufführen wird: mit vollem Sinfonieorchester in der Bridgewater Hall von Manchester, gemeinsam mit Johnny Greenwoods (Radiohead) "Popcorn Superhet Receiver" und Igor Stravinskys "Rite of spring".

 

© Michael Frost, 25.05.2010


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