Andy Jenks und Corin Dingley segelten immer ein wenig im Windschatten ihrer Kollegen. Es waren Massive Attack und Portishead, die in den 90er Jahren eine als neu empfundene Musikrichtung kreierten. Darin mischten sich Hiphop-Elemente mit Orchestersound, Jazz, Soul und frostigen Elektro-Beats, melancholischer Atmosphäre und Herz zerreißenden Gesangsstimmen.
Alpha, so der Bandname des Projekts von Jenks und Dingley, die wie ihre Kollegen aus Bristol kommen, entstand 1997. Wie Massive Attack arbeiteten die beiden mit verschiedenen Sängerinnen, doch Wendy Stubbs wurde schnell zur festen Größe: Nichts gibt so großen Wiedererkennungswert wie eine Stimme.
Sie ist es auch, die der neuen Veröffentlichung von Alpha, "The Sky is mine", ihren Stempel aufdrückt. Ihr Gesang ist hintergründig, stilvoll, untermalt von luftigen Chorsequenzen ("Push", "Home") und einem schwelgenden Streicherensemble, das dem Sound seinen triphop-typischen, ausladenden Klang gibt.
"Soften the rain – feel this storm inside me - soften the rain" - solchermaßen hin- und hergerissen präsentieren sich Alpha im Jahr 2008 - sieben Jahre nach ihrem letzten regulären Album "The impossible thrill". Die Oberfläche ist weich, versonnen und vorsichtig freundlich, doch darunter brodelt es gewaltig. Und so entwickelt sich auch "Burn me again" zu einer dramatischen Ballade, an deren Ende kreischende E-Gitarren und das Orchester den bis dahin so leisen Gesang in einen kraftvoll lauten Soul verwandeln. Zum Albumende kulminieren alle Zutaten: "Silver bullet" bietet alles, was Triphop ausmacht und empfiehlt Alpha einmal mehr als Interpreten eines neuen James-Bond-Titelsongs.
Dank des opulenten Einsatzes von Elektronik, Streichern und Bläsern bleiben Alpha die freundlichere, wärmere Variante zu dem kühlen, meist schroffen Grundton, wie ihn etwa Portishead pflegen. Dabei wahren sie jedoch immer die Grenze zum Pop, die sie, im Unterschied etwa zum neuen Album von Morcheeba, die ebenfalls zu den Wegbereitern des Triphop zählen, nie überschreiten. Vielmehr dürfte "The sky is mine" die Fans einer anderen Bristol-Band begeistern: Goldfrapp. Denn "The sky is mine" knüpft nahtlos dort an, wo Alison Goldfrapp & Will Gregory 2001 mit ihrem Debüt-Album "Felt mountain" aufhörten: in einem Rausch elegischer, anmutiger Melodien, kontrastiert von Störgeräuschen, Lo-Fi-Ambiente und in dem raffiniert kalkulierten Widerspruch zwischen breitwandigen Arrangements der 60er-Jahre Filmmusik und elektronischer Klangfrickelei.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass 2008 die Rückkehr fast aller großen Triphop-Bands der 90er Jahre erlebt. Alpha jedenfalls treten den Beweis an, dass ihre Richtung längst noch nicht ausgereizt ist - im Gegenteil. "The sky is mine" ist das bislang charismatischste Album von Alpha, das Alpha-Werk sozusagen, das die Band in all ihren Facetten zeigt, nicht zuletzt aufgrund der zweiten Disc, die weitere zwölf Titel enthält, darunter (überwiegend instrumentale) Bonustracks und Remix-Versionen.
© Michael Frost, 09.03.2008