Die
Zeiten, als Jean-Benoit Dunckel und Nicolas Godin den Elektropop mit
bonbonfarbenen Digitalsounds à la "Sexy Boy" in eine
neue Ära führten, gehören wohl auf immer der Vergangenheit
an. Seit ihrem bemerkenswerten Durchbruch "Moon safari"
sind immerhin neun Jahre vergangen. Und Air, wie die beiden Franzosen
ihr gemeinsames Projekt nennen, haben die Zeit genutzt und sich weiter
entwickelt.
Nach
vier Studioalben, Filmmusiken und der Vertonung eines Romans von Alessandro
Barrico fühlen sich die beiden Franzosen nun reif für eine
elektronische Symphonie - wenngleich auch nur im Kleinformat. Bescheiden
nennen sie ihr neues Album "Pocket Symphony", doch die Idee
ist zündend, und die Umsetzung überzeugend.
Weil
das Konzept der Symphonie stimmig ist, soll an dieser Stelle nicht
der Versuchung erlegen werden, einzelne Songs hervorzuheben: eine
Symphonie wirkt als Ganzes - oder gar nicht. Natürlich sticht
die Stimme von Jarvis Cocker hervor. Der Ex-Pulp-Frontmann, inzwischen
Wahl-Pariser, traf Air bei der gemeinsamen Arbeit zu Charlotte Gainsbourgs
Album "5.55".
In
die "Pocket Symphony" fügt sich der Dandy mit der nonchalanten
Stimme wunderbar ein, jedoch blieb es bei dem einen Titel "One
hell of a party". Denn Air wollten offenkundig ein Album ohne
einzelne Höhepunkte, sondern ein möglichst homogenes und
durchgängig wirkungsvolles Werk.
Daher
entwickelten Dunckel & Godin ihre kleine Westentaschensymphonie
mit aller Behutsamkeit. Die Reduktion der Elemente steht im Vordergrund,
digitale und synthetische Elemente verschmelzen mit den organischen
Klängen von Klavier und Gitarre. Es gibt Grenzen zwischen den
einzelen Titeln, aber keine Brüche, und so verliert man sich
schon nach kurzer Zeit in den leisen Klangformationen und bleibt "Lost
in translation".
Immer
wieder tauchen beim Hören des Albums Bilder des Sofia Coppola-Films
vor dem geistigen Auge auf. Air hatten für "Lost in translation"
nur einen Titel komponiert, doch mit "Pocket-Symphonie"
wird der komplette Soundtrack nachgeliefert - respektive die verlorene
Stimmung des Films musikalisch nachempfunden.
Und
hier schließt sich wiederum auch der Kreis zu Charlotte Gainsbourg.
"5.55" war der Versuch, das zeitliche Niemandsland zwischen
vergangener Nacht und dem noch nicht begonnenen Tag zu beschreiben.
"Pocket symphony" greift die besondere Atmosphäre dieses
Moments nicht nur in dem Titel "Somewhere between waking and
sleeping" auf, sondern dehnt ihn auf Albumlänge aus. Eine
Zeitspanne, die man im Alltag so schmerzlich vermisst. Aber jetzt
kann man dieses Gefühl in der Jackentasche mit sich tragen, als
kleine Symphonie.
©
Michael Frost, 03. März 2007