Was
ist Weltmusik? Gemeinhin bezeichnet der Begriff alles, was nicht der
angloamerikanischen Popkultur entsprungen ist, aber auch von (europäischer)
Klassik und (nordamerikanischem) Jazz abgegrenzt werden muss, mithin
alles, was "uns" fremd ist.
"Weltmusiker"
protestieren schon lange gegen diese Sichtweise, weil sie darin einen
Ausschluss erkennen: hier die "richtige" Musik, dort die
Exotik, die Folklore, mit der sich die Popmusik schmückt, wenn
sie tolerant sein will - oder weil ihr sonst nichts mehr einfällt.
Vielleicht
aber ist Weltmusik in Wahrheit etwas ganz anderes: Musik etwa, die
eine neue, eigene Welt überhaupt erst erschafft, indem sie die
gegenwärtige, reale Welt einfach hinter sich lässt. Nach
dieser Definition wäre das Album "Journey to the centre
of an egg" ein Weltmusikalbum par excellence. Warum? Weil Rabih
Abou-Khalil und Joachim Kühn ihre jeweiligen Musiktraditionen
verlassen haben, um zu einer neuen Wirklichkeit zu finden.
Sie
bedienen sich dabei der wohl traditionsreichsten Instrumente zweier
Kulturen: Kühn ist Pianist, und Khalil ist der international
gefeierte Meister der Oud, der arabischen Laute. Folglich ist es die
Tradition unzähliger Jahrhunderte, die während dieser außergewöhnlichen
Reise zusammentrifft: Okzident und Orient führen mittels der
Instrumente einen Dialog, der jedoch schon bald über die Kommunikationssituation
zweier Individuen hinausgeht.
Denn
in Wahrheit verschmelzen beide Musiker, beide Instrumente nach kürzester
Zeit zu einer Einheit, in die Grenzen zwischen Jazz, Klassik und arabischer
Rhythmik und Melodieführung aufgehoben scheinen. Jarrod Cagwin
und Wolfgang Reisinger ergänzen das virtuose Spiel von Kühn
und Abou-Khalil mit wohl gesetzten Drums und Percussions, sie verstärken
die elektrisierende Spannung der Aufnahme (Ton: Walter Quintus).
Dass
die von Abou-Khalil und Kühn zelebrierte Form der Überwindung
von Grenzen auch einen politischen Appell impliziert, macht das Projekt
nochmals bedeutender. Denn wenn man sich erst einmal, egal von welchem
Standort aus, auf den Beginn dieser Reise "in das Zentrum eines
Eis" begeben hat, wird man feststellen, wie unbedeutend und künstlich
alles vermeintlich Trennende ist.
©
Michael Frost, 15. Januar 2005